SerieMarkt und Militär

Rüstungsausgaben als Technologiebooster der Wirtschaft

Rüstungsinvestitionen erhöhen zwar das Wachstum, blockieren aber Kapazitäten, die ansonsten für produktivere und nachhaltigere Sektoren der Wirtschaft zur Verfügung gestanden hätten. Schwer zu fassen sind allerdings die Wirkungen von Transfers militärischer Hochtechnologie in den Privatsektor.

Rüstungsausgaben als Technologiebooster der Wirtschaft

Rüstungsausgaben als Technikbooster der Wirtschaft

Die Multiplikatoreffekte von Verteidigungsinvestitionen auf das Wachstum sind unstrittig, aber viel niedriger als die von Infrastrukturinvestitionen

Rüstungsinvestitionen erhöhen zwar das Wachstum, blockieren aber auch Kapazitäten, die ansonsten für produktivere und nachhaltigere Sektoren der Wirtschaft zur Verfügung gestanden hätten. Schwer zu fassen sind allerdings die Wirkungen von Transfers militärischer Hochtechnologie in den Privatsektor.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Auf den ersten Blick scheinen Rüstungsinvestitionen verlorenes Kapital: Werden sie eingesetzt, zerstören sie nicht nur viele Menschenleben, also Humankapital, sondern auch enorm viel Sachkapital. Und wenn die militärischen Gerätschaften – glücklicherweise – doch in den Kasernen bleiben können, gelten sie als totes Kapital, ohne jedwede Wachstumswirkung. Die linke britische Ökonomin Joan Robinson, eine Schülerin von John Maynard Keynes, formulierte schon in den 50er Jahren: „Selbst wenn sie ungenutzt bleiben, tragen Investitionen in Militärgüter viel weniger zur Produktionskapazität bei, als Investitionen in die Basisindustrie, die eine Spirale eines sich selbst antreibenden Wachstums in Gang setzen können“.

Bei der Debatte im Frühjahr über höhere Ausgaben für den deutschen Verteidigungshaushalt und ihre Ausnahme von der Schuldenbremse, wurden zwar vor allem die Bedrohung durch Russland als Begründung abgestellt, doch viele Ökonomen betonten auch die positiven Wirkungen auf Wachstum und Beschäftigung. Der Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, und der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum, inzwischen zum Berater von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil avanciert, betonten, dass die ansteigenden Militärausgaben von zuletzt rund 50 Mrd. Euro jährlich auf 162 Mrd. Euro bis 2029 auch das Wachstum in Europa ankurbelten. Aber gehen sie über reine fiskalische Strohfeuereffekte und Konsumwirkungen hinaus?

Höhere Produktivität

Letztendlich geht es um die sogenannten Multiplikatoreffekte von Rüstungsausgaben, die vielfältigen Voraussetzungen und Einflüssen unterliegen. Entsprechend breit gefächert sind die Prognosen über die Wirkungen des sukzessive erhöhten Verteidigungshaushalts. In ökonomischen Studien lassen sich die Wachstumseffekte grob wie folgt zusammenfassen: Infrastrukturinvestitionen liegen üblicherweise bei einem Multiplikator irgendwo zwischen 1,8 bis 2,5. Denn sie bewirken auch private Investitionen, erhöhen die Produktivität und wirken damit langfristig förderlich auf alle Nutzer, die darauf zurückgreifen.

Militärmultiplikator

Der „Militärmultiplikator“ wird indes nur auf eine Spanne zwischen 0,4 und 1,5 veranschlagt. Als Grund wird zum einen angegeben, dass von Militärinvestitionen keine weiteren Nutzer profitieren können, sie wegen insgesamt begrenzter Produktionskapazitäten anderweitige rentierlichere private Investitionen verdrängen und ein Großteil der Rüstungsgüter aus dem Ausland beschafft werden muss. Es ist von einer ökonomischen „Rüstungsfalle“ die Rede, die allenfalls konsumtives und investives Strohfeuer auslösen.

Die Europäische Zentralbank hat das zuletzt nachgerechnet und veranschlagt den positiven Wachstumseffekt über die nächsten drei Jahre auf 0,93. Manche Berechnungsmodelle lassen der EZB zufolge auch den Faktor 1,5 zu, weil Unterauslastung gelindert, neue Kapazitäten gebildet und auch Wachstumseffekte bei Forschung & Entwicklung eine Rolle spielen. Allerdings, räumen die EZB-Ökonomen ein, seien die Verdrängungseffekte im Privatsektor unklar etwa mit Blick auf die Knappheit von Arbeitskräften. Und sie warnen: Der Produktionsmultiplikator könne „deutlich niedriger“ ausfallen, wenn die Marktakteure erwarteten, dass das staatliche Defizit später über eine höhere Besteuerung finanziert werde.

Positiver als bisher veranschlagt könnte der Multiplikator ausfallen, wenn der heimische Anteil der Rüstungsinvestitionen gesteigert wird. Der Importanteil ist bereits gesunken. Und angesichts der jüngsten Kapazitätsausweitungen der deutschen Rüstungsindustrie und dem Markteintritt neuer Akteure zeichnet sich nach Meinung der Ökonomen von Goldman Sachs durchaus schon ab, dass sich das fortsetzt. Die Analysten gehen davon aus, dass aktuell je ausgegebenem Euro mindestens 0,6 Euro in Deutschland hängenbleiben. Auf europäischer Ebene geht die EZB diesbezüglich von 0,7 Euro aus.

Sinkender Importanteil

Recht optimistisch blickt die Unternehmensberatung EY auf die Militärausgaben. Sie veranschlagen den Multiplikator sogar auf 2,3 bis 2,7 für den laufenden Betrieb; und für die zusätzlichen Investitionen auf 2,1 bis 2,6. Verteidigungspolitik sei Industriepolitik, schreiben sie in einer Studie, und attestieren positive Einkommens- und Wertschöpfungseffekte. EY rechnet mit gut 665.000 zusätzlichen Jobs in Nato-Europa, davon über 300.000 in der europäischen Zulieferindustrie. Weltweit werde für jeden investierten Euro Produktion im Wert von 2,18 bzw. 1,74 Euro angestoßen.

Dual-Use-Güter

So weit geht der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) Moritz Schularick indes nicht, obwohl auch er ein großer Befürworter der zusätzlichen Verteidigungsanstrengungen ist. Er hatte im Frühjahr zusammen mit Kollegen sowohl für das Infrastruktursondervermögen geworben und sich dabei angesichts der russischen Bedrohung besonders für einen höheren Verteidigungshaushalt eingesetzt. Er verweist auf Zusatzwirkungen durch Dual-Use-Güter, die sowohl für militärische als auch zivile Zwecke eingesetzt werden können. Ferner streicht er die positiven Technologieeffekte von Rüstung heraus. Was das konkret bedeutet, ist auch in den Statistiken des Kieler „Ukraine Support Trackers“ ablesbar.

Sicherheit als Investitionsfaktor

Schularick: „Wir können in der Ukraine beobachten, wie sehr die Kriegsführung inzwischen mit technologischen Fähigkeiten und Innovationen verwoben ist. Investitionen in Rüstung sind auch Investitionen in Technologie. Und dies hat mittelfristig positive Auswirkungen auf den Rest der heimischen Wirtschaft". In welchem Maße, kann er allerdings nicht beziffern. Das gilt natürlich auch für das Hauptprodukt der Verteidigungsanstrengungen: Sicherheit. Das wirkt unmittelbar etwa auf das Investitionsklima. Denn wer daran zweifelt, dass sich ein Land oder Bündnis nicht gegen einen äußeren Feind verteidigen oder diesen nicht abschrecken kann, wird auch kaum in die Zukunft investieren wollen.