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Scholz muss im EU-Parlament Kritik einstecken

Bundeskanzler Olaf Scholz hat in einer Rede vor dem Europäischen Parlament eine stärker geopolitisch ausgerichtete EU gefordert, zu der auch neue Freihandelsabkommen gehören. Scholz musste in Straßburg allerdings einiges an Kritik einstecken - auch aus Reihen der Ampel-Parteien.

Scholz muss im EU-Parlament Kritik einstecken

Scholz’ Europa-Rede von Kritik begleitet

Im EU-Parlament machen auch Abgeordnete der Ampel-Parteien ihrem Unmut Luft – Kanzler will stärker geopolitische EU

ahe/rec Berlin/Brüssel

ln der zweiten europapolitischen Grundsatzrede seiner Amtszeit hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz für eine stärker international ausgerichtete EU ausgesprochen. Im EU-Parlament in Straßburg plädierte der SPD-Politiker für neue Partnerschaften mit Afrika, zahlreiche neue Freihandelsabkommen sowie die Aufnahme neuer Mitglieder in die Gemeinschaft. Nicht weniger, sondern mehr Offenheit und mehr Kooperation seien das Gebot der Zeit, betonte Scholz am Dienstag in seiner rund 20-minütigen Rede. Die Welt des 21. Jahrhunderts sei schon längst multipolar. „Wir brauchen eine geopolitische EU, eine erweiterte und reformierte EU, und nicht zuletzt eine zukunftsoffene EU.“

Die USA bleiben dabei nach Einschätzung von Scholz der wichtigste Partner. Man sei aber dann ein besserer Verbündeter, wenn man technologisch souverän werde, mehr für Verteidigung ausgebe, zuverlässigere Lieferketten habe und mehr Unabhängigkeit bei kritischen Rohstoffen habe, fügte er hinzu. Zu China unterstrich der Kanzler, es gehe nicht um eine Entkoppelung, wohl aber um ein kluges Abbauen von Risiken. Die Beziehung zu China sei mit dem Dreiklang Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale zutreffend beschrieben – wobei aber Rivalität und Wettbewerb seitens Chinas ohne jeden Zweifel zugenommen hätten.

Scholz’ Ansicht nach muss die EU nun „zügig neue Freihandelsabkommen schließen“ – mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten, mit Mexiko, Indien, Indonesien, Australien, Kenia, „und perspektivisch mit vielen weiteren Ländern“. Nur so könne man verhindern, dass weltweit niedrige Umwelt- und Sozialstandards festgeschrieben würden.

Er bekräftigte seine Forderung nach mehr Mehrheitsentscheidungen im Bereich der Steuer- und Außenpolitik der EU und setzte sich erneut für eine EU-Erweiterung ein, insbesondere mit Blick auf den Westbalkan. Es gehe um Glaubwürdigkeit und wirtschaftliche Vernunft.

Lob von den Liberalen

Im Plenum in Straßburg bekam Scholz Lob von FDP-Politikerin Nicola Beer. „Olaf Scholz findet in seiner Rede starke Worte zu europäischen Zukunftsthemen“, sagte die Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Sie nannte offene Souveränität mit mehr Partnern statt Protektionismus, einen Stabilitäts- und Wachstumspakt, der auf solide Finanzen setzt, die Unterstützung der Ukraine und die Notwendigkeit institutioneller EU-Reformen. Beer gefällt vor allem Scholz’ Plädoyer für den Abschluss von Freihandelsabkommen wie jenem mit den vier Mercosur-Staaten.

Für Juli ist ein Lateinamerika-Gipfel in Brüssel anberaumt. Bis dahin hofft man auf einen Abschluss des Mercosur-Abkommens, über das seit mehr als 20 Jahren verhandelt wird. Vor allem die deutsche Industrie wartet sehnlichst darauf, dass die Handelserleichterungen im Handel mit Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay bald greifen. Für den Vorsitzenden der CDU/CSU-Gruppe Daniel Caspary lässt Scholz zu wenig Taten folgen: „Sein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Freihandelsabkommen steht wieder einmal diametral zum Handeln der Ampel-Parteien in Brüssel und Straßburg.“ Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), der CSU-Abgeordnete Manfred Weber, verwies zugleich auch auf die Debatten um das Verbrenner-Aus und um Ukraine-Hilfen. „Europa braucht Orientierung aus Berlin“, forderte er.

Kritik musste sich Scholz allerdings auch von den Grünen im EU-Parlament anhören. Ko-Fraktionschefin Terry Reintke monierte, es gebe auf EU-Ebene „einiges zu kitten“. Man müsse Scholz jedes einzelne Element der verkündeten Zeitenwende mühsam abringen. Scholz lasse laufen, statt sich klar zu positionieren, kritisierte sie ebenfalls. „Ich muss ganz ehrlich sagen, Herr Bundeskanzler, das Bild von Ihnen als Kanzler, der liefert, das ist in den letzten Monaten leider verblasst.“

Enttäuschte Erwartungen

Reintkes Fraktionskollege Rasmus Andresen sprach von einer vertanen Chance: „Wir brauchen einen Bundeskanzler, der leidenschaftlich für unsere europäische Demokratie kämpft und bereit ist, über seinen Schatten zu springen.“

Der Volt-Abgeordnete Damian Boeselager räumte ebenfalls ein, dass er sich zu Beginn von Scholz’ Kanzlerschaft „mehr erhofft“ habe. Die Schwäche der Ampel sei bei Themen wie Verbrenner-Aus, Ukraine-Hilfe und Schuldenregeln offensichtlich, es fehle ein Einsatz für die Weiterentwicklung Europas. Dabei sei der Koalitionsvertrag, betonte Boeselager nach der Rede im Parlament, doch „vielversprechend“ gewesen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat in einer Rede vor dem Europäischen Parlament eine stärker geopolitisch ausgerichtete EU gefordert, zu der auch neue Freihandelsabkommen und die Aufnahme weiterer Länder gehören. Scholz musste in Straßburg allerdings einiges an Kritik einstecken – auch aus Reihen der Ampel-Parteien.

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