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Schweitzer zum Schweigen verdammt

Von Stefan Reccius, Frankfurt Börsen-Zeitung, 22.10.2020 Millionen deutsche Unternehmen im In- und Ausland stehen ab sofort ohne eine gemeinsame Stimme da: Ihr oberster Interessenvertreter Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und...

Schweitzer zum Schweigen verdammt

Von Stefan Reccius, FrankfurtMillionen deutsche Unternehmen im In- und Ausland stehen ab sofort ohne eine gemeinsame Stimme da: Ihr oberster Interessenvertreter Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), wird sich ab sofort öffentlich nicht mehr zu Wort melden, genau wie alle anderen Emissäre des Industrie-Dachverbandes. Das hat das Führungsgremium des DIHK gestern entschieden. Man werde “bis auf Weiteres auf alle medialen Äußerungen verzichten”, heißt es in einem von Schweitzer und Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben unterschriebenen Brief der DIHK-Führung an die regionalen Niederlassungen mit ihren ca. 3,5 Millionen Mitgliedsunternehmen im In- und Ausland, der der Börsen-Zeitung vorliegt.Der DIHK reagiert damit in radikaler Weise auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig aus der vorigen Woche. Demnach ist es den Vertretern des Verbandes untersagt, sich in Interviews und Reden, Diskussionen und sonstigen Stellungnahmen zu rein politischen Belangen zu äußern. Tun sie es doch, dürfen einzelne Mitglieder mit Verweis auf diese Kompetenzüberschreitung den Austritt ihrer Industrie- und Handelskammer (IHK) aus dem Dachverband erzwingen.Das Leipziger Urteil am Ende eines 14 Jahre währenden Rechtsstreits sorgt für große Aufregung in den Wirtschaftsverbänden und darüber hinaus. Es gilt als Menetekel für andere Verbände aus Wirtschaft und Finanzen. Denn das Verdikt macht sie mitunter selbst unsicher, auf welche Weise sie sich künftig in der Öffentlichkeit zu Wort melden dürfen. Beim DIHK hat das Urteil unmittelbare Folgen: Es zwingt die IHK Nord Westfalen, aus dem DIHK auszutreten. Denn geklagt – und nun in letzter Instanz Recht bekommen – hat ein Unternehmer aus Münster. Seit 2013 DIHK-ChefUm weitere Klagen dieser Art zu verhindern, sieht sich der DIHK nun zum Äußersten gezwungen: Er verpasst seinem Präsidenten einen Maulkorb. Schweitzer soll demnach so lange zum Schweigen verdammt sein, bis die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt und ausgewertet ist, was Monate dauern kann. Auch die eigentlich für Donnerstag geplante Präsentation einer Umfrage unter seinen Mitgliedsunternehmen zu den konjunkturellen Aussichten für die kommenden Monate hat der DIHK gestrichen. Ausgerechnet zu einer Zeit, in der mit einem womöglich ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, neuen Milliardensanktionen im transatlantischen Handelsstreit und möglichen neuen Coronakomplikationen in den weltweiten Lieferketten weitere Verwerfungen drohen, verstummt eine der wichtigsten Stimmen der Wirtschaft.Schweitzer, seit 1998 Geschäftsführer des Berliner Entsorgungsunternehmens Alba, ist seit sechseinhalb Jahren Chef des DIHK. Er hat sich in dieser Funktion immer wieder zu politisch brisanten Themen geäußert. So sagte er in der Debatte über Wirtschaftssanktionen gegen den Iran 2016 in einem Zeitungsinterview: “Niemand arbeitet bedenkenlos mit dem Iran zusammen. Gerade für Deutschland ist das Existenzrecht Israels unantastbar. Und die Menschenrechtslage im Iran ist nicht hinzunehmen.” Nicht hinnehmbar, weil zu politisch, fanden diese Äußerung die Richter am Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster. Schweitzers Aussage lasse “keine hinreichend konkreten Auswirkungen auf die Wirtschaft in Deutschland erkennen”. Nur dann dürfe der DIHK sich äußern: Die “gesetzliche Aufgabe der Industrie- und Handelskammern beschränkt sich heute zudem im Wesentlichen auf die Bekämpfung von unlauterem Wettbewerb und Korruption”, so das OVG Münster. Mehr als zehn Äußerungen von Schweitzer und Kollegen etwa zum Brexit beanstandete das Gericht -und die Leipziger Oberverwaltungsrichter bestätigten diese Auffassung.