So ist die Lage anderswo in Europa
Von Stefan Reccius, Frankfurt
Portugal, Spanien und Tschechien tiefrot, Frankreich, Schweden und das Baltikum in etwas hellerem Rot, Italien, Ăsterreich und die Benelux-Staat orange, weite Teile Nordeuropas gelb bis grĂŒn: Mit Blick auf das Corona-Dashboard der Johns-Hopkins-UniversitĂ€t veranschaulicht die gĂ€ngige Farbenlehre, wie diffus das Infektionsgeschehen in Europa ist (siehe Grafik). Selbst innerhalb der LĂ€nder gibt es mitunter gravierende Unterschiede: Die Wintersporthochburg Tirol ist zu einer Art Hotspot der besonders ansteckenden sĂŒdafrikanischen Variante des Coronavirus geworden, was heftige Kontroversen ĂŒber ReisebeschrĂ€nkungen oder gar eine Isolation des Bundeslandes ausgelöst hat. WĂ€hrend Gesundheitsminister Rudolf Anschober im österreichischen Fernsehern von einer âaufgeheizten Stimmungâ in Tirol berichtete, erwĂ€gt die bayerische Landesregierung, die Grenze zum Nachbarn zu schlieĂen.
Die Episode ist mehr als ein ScharmĂŒtzel unter aufgebrachten Landespolitikern, denn ihre Relevanz geht weit ĂŒber die bayerisch-österreichische Grenzregion hinaus. Ăberall auf dem Kontinent wĂ€gen Regierungen in der Winter-Welle ab, wie restriktiv sie zur EindĂ€mmung des Coronavirus vorgehen und was sie ihren Bevölkerungen und auch ihren direkten Nachbarn zumuten können, bis wĂ€rmere Temperaturen und voranschreitende Impfkampagnen der Pandemie ihren Schrecken nehmen.
Frankreichs Probleme
Spanien hat seine Kontrollen an den Grenzen zu Portugal bis Ende des Monats verlĂ€ngert, wie das Innenministerium in Madrid gestern mitteilte. In Portugal liegt der einschlĂ€gige 7-Tage-Inzidenzwert nach wie vor jenseits von 400 Neuinfektionen pro 100000 Einwohner, Tendenz fallend. Nur in Tschechien ist der Wert höher. In Frankreich hat die Regierung trotz anhaltend hoher Infektionszahlen anders als im vorigen Jahr auf drastische MaĂnahmen wie eine Ausgangssperre verzichtet, wohl auch aus Furcht vor gewaltsamen Ausschreitungen, die kĂŒrzlich die Niederlande erschĂŒtterten (vgl. BZ vom 2. Februar).
Hinzu kommt: In Frankreich laufen die Impfungen besonders langsam an. Dem Impf-Tracker von Bloomberg zufolge haben knapp 3% der Bevölkerung mindestens eine der erforderlichen zwei Spritzen erhalten. Zum Vergleich: GroĂbritannien hat circa 18% seiner Bevölkerung mindestens einmal geimpft, die USA knapp 10%. Zwar liegt Frankreich in etwa gleichauf mit Deutschland (2,8%). Doch mit Blick auf das durchschnittliche Impftempo pro Kopf wird der RĂŒckstand besonders deutlich, fĂ€llt Europas zweitgröĂte Volkswirtschaft doch deutlich hinter den EU-weiten Durchschnitt zurĂŒck.
Berenberg-Ăkonom Christopher Dembik sieht darin das Ergebnis politischer Fehlentscheidungen: So habe Paris zu lange auf den heimischen Pharmakonzern Sanofi gesetzt, der bei der Entwicklung nicht wie erhofft vorankommt â und stattdessen nun im Auftrag von Biontech Impfstoffe der Mainzer Firma produzieren wird. Auch seien anfangs HausĂ€rzte in der Pflicht gewesen, statt in groĂem Stil spezialisierte Impfzentren aus dem Boden zu stampfen. FĂŒr Dembik, der auch auf eine in Frankreich vergleichsweise verbreitete Impfskepsis verweist, lĂ€uft dies auf lĂ€ngere EinschrĂ€nkungen wie geschlossene Einkaufszentren, nĂ€chtliche Sperrstunden oder strengere Mittel hinaus â was die konjunkturelle Erholung verzögert.
Was dĂŒrfen Geimpfte?
Derweil nimmt die Debatte ĂŒber Vorteile fĂŒr Geimpfte Fahrt auf. Und wie schon bei ReisebeschrĂ€nkungen zeichnet sich auch hier ein europĂ€ischer Flickenteppich ab. WĂ€hrend eine Debatte ĂŒber einen EU-weiten Impfausweis etwa als Passierschein fĂŒr Reisen im Schengenraum noch im Anfangsstadium steckt, haben Polen, RumĂ€nien und Estland bereits die QuarantĂ€nepflicht fĂŒr Reisende, die eine Impfung vorweisen können, aufgehoben. DĂ€nemark treibt die Entwicklung eines digitalen Impfausweises fĂŒr das Smartphone voran, vor allem um GeschĂ€ftsreisende baldmöglichst ins Land zu lassen. Griechenlands MinisterprĂ€sident Kyriakos Mitsotakis drĂ€ngt vor allem mit Blick auf den Tourismus in seinem Land: âPersonen, die geimpft sind, mĂŒssen frei reisen dĂŒrfen.â
Dem wird man sich wohl auch in Tirol anschlieĂen. Dort greift nun die Regierung in Wien durch. WĂ€hrend seit Beginn der Woche im ganzen Land GeschĂ€fte und Schulen öffnen dĂŒrfen, ordnete Bundeskanzler Sebastian Kurz am Nachmittag eine Testpflicht fĂŒr Tirol an. Ausreisen aus dem Bundesland sind demnach ab Freitag nur mit negativem Coronatest möglich. Breite sich so eine Mutation schnell und stark aus, werde das erneut viele Menschenleben kosten, sagte Kurz der Deutschen Presse-Agentur zufolge: âUnd der Weg zur NormalitĂ€t wird sich noch einmal um Monate verzögern.â