Demografie

Sozialpolitik auf Kosten der Jüngeren

Der demografische Druck auf die Sozialsysteme darf nicht dazu führen, dass jüngere und künftige Versicherte in die Enge getrieben werden, warnt der Wirtschaftsweise Martin Werding. Die Politik dürfe nicht die Älteren bevorzugen, wie es bislang geschehe.

Sozialpolitik auf Kosten der Jüngeren

Sozialpolitik auf Kosten der Jüngeren

lz Frankfurt

Der Wirtschaftsweise Martin Werding hat vor einem Auseinanderfallen der Gesellschaft gewarnt, sofern die Belastung durch Sozialabgaben weiter wie bisher steigt. Vor allem jüngere Menschen würden durch die aktuelle Sozialpolitik „massiv benachteiligt“, zeigt er anhand neuer Berechnungen. Das würde den sozialen Zusammenhalt untergraben und obendrein die politische Legitimität des bestehenden Sozialversicherungssystems aufs Spiel setzen, warnt er. Die Konditionen des viel zitierten Generationenvertrags müssten politisch so gesteuert werden, dass sie für alle beteiligten Generationen zumindest zustimmungsfähig seien.

Nach seinen Berechnungen wird der Gesamtbeitrag zur Sozialversicherung von heute knapp 42% bis 2035 auf 47,5% steigen; und bis 2080 würden sogar 58,4% erreicht. Geburtenjahrgänge des Jahres 1950 hätten zeitlebens nur einen Durchschnittsbeitrag von 37,4% des Bruttolohns zahlen müssen, der Geburtenjahrgang 2020 werde während seines Erwerbslebens aber wohl auf 55,6% kommen.

„Die Analyse belegt mit klaren Zahlen, wie stark das umlagefinanzierte Sozialversicherungssystem junge Generationen belastet“, mahnt Frank Wild, Institutsleiter des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP). Wenn künftige Erwerbstätige über die Hälfte ihres Einkommens für Sozialbeiträge aufbringen müssten, sei das „kein tragfähiger Generationenvertrag“ mehr.

Die Entwicklung wird noch verschlimmert, wenn politische Eingriffe die bisherigen demografischen Anpassungen aus den Angeln heben. In den Rentenreformen 1989 sowie von 2001 bis 2007 wurde der Lohn als Bezugspunkt der Rentenanpassung zwar belassen, aber ein demografischer Korrekturfaktor eingefügt. Dieser wurde zuletzt immer weiter verwässert oder ganz ausgesetzt. Zuletzt wurde mit dem Vorschlag einer „Haltelinie“ in der Rentenversicherung, die das Rentenniveau bei 48% der Referenzrente sichern soll, ganz darauf verzichtet. Hinzu kommen zudem einzelne „Anpassungen“ wie die „Mütterrente“. Und im Koalitionsvertrag der neuen Regierung sind beide „Reformen“ weiterhin vorgesehen.

Wie Werding darlegt, steigen die Beiträge mit der Einführung einer „Haltelinie“ noch stärker an als ohnehin schon. Das wird nur teilweise kompensiert durch die gesetzliche Krankenversicherung, die wegen höherer Renten mit einem höheren Beitragsaufkommen rechnen darf. Der mit Abstand stärkste relative Anstieg ist bei der Pflegeversicherung zu erwarten.

Die Fähigkeit des Staates, im Umlageverfahren finanzierte Sozialversicherungen selbst unter ungünstigsten Rahmenbedingungen durch hoheitlichen Zwang zu stabilisieren, mahnt Werding, gehe mit der Pflicht einher, junge und zukünftige Versicherte vor Überlastungen zu schützen. Davon aber habe sich „die Politik in Deutschland im Umgang mit den seit Jahrzehnten absehbaren Herausforderungen durch die demografische Entwicklung immer weiter entfernt“.

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