Spätes Gedenken
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) war deutlich schneller als Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Zum Jahrestag des nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933 hat der Bundestag zwei Abgeordnete der Weimarer Republik gewürdigt: den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger und den Sozialdemokraten Otto Wels. Zwei Bundestagsgebäude – Unter den Linden – sind nach ihnen benannt worden.Schäuble hatte Erzberger indessen schon 2011 herausgehoben. Er sorgte dafür, dass im Bundesfinanzministerium seitdem der “Große Festsaal” den Namen des Zentrumsabgeordneten trägt, der 1919/1920 Reichsfinanzminister war. Der Saal diente in der Nazizeit repräsentativen Zwecken im Machtzentrum Hermann Görings, des Reichsluftfahrtministers. Schäuble hatte sich darüber geärgert, dass die Bezirke Berlins es nicht fertigbrachten, eine Straße nach dem herausragenden Politiker Erzberger zu benennen, dessen wenig gedacht wurde. Bei neuen Namen gehen Frauen vor – Gender ist in Berlin wichtiger als Geschichte. Nun hat der Bundestag mit einem Schritt nachgezogen, den Lammert als “überfällig” bezeichnete.Wels und Erzberger eint, dass sie den Übergang von der Monarchie zur Republik gestalteten. Erzberger unterzeichnete 1918 im Wald von Compiègne den Waffenstillstand und machte dem Gemetzel von vier langen Jahren im Ersten Weltkrieg ein Ende. Er trat für die Idee eines Völkerbundes ein und verteidigte den Versailler Vertrag. Dies trug ihm massive persönliche Angriffe antirepublikanischer Kräfte ein. Er wurde zur Zielscheibe nationalistischer Organisationen. Am 26. August 1921 endete ein Spaziergang im Schwarzwald mit seinem Freund und Abgeordnetenkollegen Carl Diez durch ein Mordkomplott: Acht Revolverkugeln streckten Erzberger dahin. 45-jährig starb er noch am Ort des Attentats. *Bei Amtsantritt im Februar 1919 als Reichsfinanzminister mahnte er vor den Abgeordneten: “Eine wesentliche Voraussetzung für den Wiederaufbau des staatlichen Lebens sind geordnete Staatsfinanzen. Ohne Sicherheit im Finanzwesen entwickelt sich kein Volk, blüht kein Staatswesen.” Es könnte Schäuble gesprochen haben. In den wenigen Monaten seiner Amtszeit gelangen Erzberger große Reformen, die bis heute nachwirken. Die junge Republik drückten hohe Kriegsschulden und Zahlungsverpflichtungen. Erzberger sorgte mit einem Umbau der Finanzverfassung dafür, dass die Gesetzgebungskompetenz für die ergiebigsten Steuern wie die Einkommensteuer an das Reich fiel und diesem auch die Erträge zustanden. Für Besitz- und Verkehrsteuern sowie Zölle und Verbrauchsteuern ließ er eine einheitliche Reichsfinanzverwaltung aufbauen. Das zersplitterte Steuerrecht im Reich wurde zusammengeführt. Mit deutlichen Steuererhöhungen brachte er indessen viele gegen sich auf, die ihr Einkommen und Vermögen bedroht sahen. Das meiste davon fraß die Inflation 1922/23 ohnehin auf.