NOTIERT IN BERLIN

Sprachlosigkeit im Interregnum

Der Koalitionsvertrag ist ausgehandelt, doch die neue Regierung lässt immer noch auf sich warten. Deutschland muss weiterhin mit einer geschäftsführenden Regierung ausharren. Wer in diesen Tagen prominente Regierungsvertreter oder Experten aus den...

Sprachlosigkeit im Interregnum

Der Koalitionsvertrag ist ausgehandelt, doch die neue Regierung lässt immer noch auf sich warten. Deutschland muss weiterhin mit einer geschäftsführenden Regierung ausharren. Wer in diesen Tagen prominente Regierungsvertreter oder Experten aus den Ministerien als Redner oder zu Podiumsdiskussionen eingeladen hat, der zittert, ob die Zusage hält. Organisatoren brauchen starke Nerven. Komplette Programmgefüge stehen auf dem Spiel. Minister, die in der Wiederauflage der großen Koalition ihren Posten verlieren könnten, wollen nicht mehr auf die Bühne. Die Neuen sind noch nicht im Amt, offiziell noch nicht einmal nominiert. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte bei der renommierten Münchner Sicherheitskonferenz zunächst ab und dann wieder zu. Seit 1963 tauschen sich dort internationale Sicherheitsexperten, Verteidigungsspezialisten und die Rüstungsindustrie aus. Die Konferenz hatte sich zwischenzeitlich um Martin Schulz bemüht, der nun weder SPD-Parteichef bleibt noch Außenminister wird. *Das Quasi-Interregnum trifft aber auch die im Vergleich zu Ministern weniger prominenten Beamten. Seit der Bundestagswahl sind sie wenig sprechfähig, soweit es den politischen Kurs ihrer Häuser betrifft. Der auf ihrem Terrain ebenfalls sehr angesehenen Haarmann-Steuerkonferenz sind in diesem Jahr die Spitzenbeamten aus dem Bundesfinanzministerium als Podiumsreferenten abhandengekommen. Seit 2001 gibt es dieses Treffen der deutschen Steuerfamilie in Berlin, das der Rechtsanwalt Wilhelm Haarmann zum intellektuellen Austausch zwischen Indusô¡trievertretern, Politik, Beamten, Richtern, Rechtsgelehrten und Anwälten ins Leben gerufen hatte. Die Leiter der Steuerabteilungen von Dax-Unternehmen sind regelmäßige Gäste. Beamte müssen ihren Dienstherrn in solchen Fällen fragen. Staatssekretär Johannes Geismann hatte darum gebeten, 2018 fernzubleiben, weil “wir bei einer geschäftsführenden Bundesregierung … keine Aussagen zur künftigen Steuerpolitik treffen können”. Zwar hatte der Abteilungsleiter für Steuern im Bundesfinanzministerium, Michael Sell, Ende Januar noch beim 66. “Berliner Steuergespräch” referiert, aber sich dort auf historische Betrachtungen konzentriert. Die Termine der Münchner Sicherheitskonferenz oder der Steuerkonferenz liegen aus heutiger Sicht unglücklich. Aber wer hätte bei der Planung fünf Monate Regierungsbildung einkalkuliert? Dabei sind bei solchen Konferenzen nicht nur die Inhalte, sondern auch die Kaffeepausen wichtig – zum entspannten Austausch zwischen Parteien, die sonst unterschiedliche Interessen vertreten. Doch immerhin gibt es in dieser Zeit für Regierungsvertreter noch unverfängliche Termine: Finanzstaatssekretär Michael Meister (CDU) stellt in den nächsten Tagen in Kassels Brüder-Grimm-Gesellschaft die 20-Euro-Gedenkmünze “Froschkönig” vor.