Fiskalpolitik der Industriestaaten

Staatsverschuldung nimmt Fahrt auf

Steigende langfristige Zinsen, immer höhere demografische Lasten, mehr Geld für Rüstung und zunehmend wählerische Investoren. Die Ratingagentur Fitch zeigt sich beunruhigt wegen des schleichenden Verlusts budgetärer Bewegungsfreiheit, Ökonomen warnen vor fiskalischer Dominanz.

Staatsverschuldung nimmt Fahrt auf

Staatsverschuldung nimmt Fahrt auf

Steigende Finanzierungskosten der Industriestaaten engen fiskalischen Spielraum ein – Ratingagentur warnt vor Kontrollverlust

Steigende langfristige Zinsen, immer höhere demografische Lasten, mehr Geld für Rüstung – und zunehmend wählerische Investoren. Bonitätswächter Fitch zeigt sich beunruhigt wegen des schleichenden Verlusts budgetärer Bewegungsfreiheit, und Ökonomen warnen vor fiskalischer Dominanz der Geldpolitik.

lz Frankfurt

Die rapide steigende Staatsverschuldung der Industrieländer droht nach Meinung der Ratingagentur Fitch zum Problem zu werden. Angesichts höherer Refinanzierungskoten und zunehmender politischer Finanzierungslasten sei mittelfristig die fiskalische Tragfähigkeit bedroht, hieß es bei einem Rating-Update. „Wir sehen plausible Szenarien, in denen ein Anstieg der Renditen zu höheren Haushaltsdefiziten und Schuldenquoten führt, da bestehende Verbindlichkeiten zu höheren Zinssätzen refinanziert werden müssen“, auch wenn es zu einer klassischen Finanzblase komme, warnen die Analysten.

Den Fiskaldaten zufolge nimmt die Schuldendynamik am schnellsten in den USA und in Frankreich zu. Und bezogen auf Europa sinkt die Schuldenlast zwar in den Peripherieländern, in den Kernländern aber nimmt sie rapide zu – andersherum als zu Zeiten der Eurokrise.

Dynamische Zinskosten

Mit Sorge blicken die Ökonomen vor allem auf die Zinskosten. Zwar hätten sich die durchschnittlichen 10-Jahres-Renditen 2025 kaum verändert, aber die 30-Jahres-Renditen seien in den meisten Märkten gestiegen, was „auf die Vorsicht der Anleger hinsichtlich der langfristigen Inflation, der hohen Emissionen und in einigen Fällen der fiskalischen Nachhaltigkeit hindeutet“, vermutet Fitch. Und viele einst zu niedrigen Zinsen losgeschlagene Papiere müssen jetzt teurer wieder an den Markt gebracht werden.

Zur Stabilisierung der Verschuldung wäre eine Straffung des Primärsaldos erforderlich, also des Haushaltsdefizits abzüglich der Zinskosten. Doch der Abstand zu stabilisierenden Defizitniveaus nimmt eher noch zu und scheint in den nächsten Jahren kaum erreichbar, zeigen Fitch-Analysen. Vor allem Frankreich, die USA, Großbritannien, aber auch Deutschland verlieren hier offenbar den Anschluss.

Bei Frankreich liegt der Primärsaldo gemäß Fitch bei gut 3%, für eine Schuldenstabilisierung wäre aber einer von einem halben Prozent nötig. In den USA sind es ebenfalls rund 3% und müssten auf 0,3 heruntergeschleust werden. Zudem scheint ein „Herauswachsen“ aus der Krise angesichts der schwachen Konjunkturdynamik unmöglich, denn die Zins-Wachstums-Differenz verschlechtert sich eher.

Kritisch für Washington und Paris

Besonders kritisch kann die Lage in den USA werden, wo der Fiskus jährlich 28,1% der Wirtschaftsleistung (BIP) an neuen Schulden (Defizit) samt Prolongation alter Schuldenpapiere an den Markt bringen muss, wie Statistiken des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeigen. Auch Frankreich liegt mit 11,4% in Europa ganz vorne (Deutschland 7%). Fitch geht davon aus, dass die Zinskosten in Europa 2029 um 0,6 Prozentpunkte höher liegen werden als im Moment; und 2032 sogar um 1 Prozentpunkt ansteigen. Damit würde die Verschuldung um durchschnittlich 1,4% bzw. 3,9% des BIP zunehmen.

Anleger auf dem Sprung

Gefährlich wird das für einen Staat, wenn die Anleger kalte Füße bekommen und verkaufen – und das fällt ausländischen Investoren naturgemäß leichter als inländischen. Entsprechend lohnt ein Blick auf die im Ausland gehaltenen Papiere. Und hier sind Frankreich und Deutschland besonders exponiert. Während Berlin aber als „sicherer Hafen“ gilt, steht Paris hier mit offener Flanke da: Die Politik ist zerstritten, Budgetkonsolidierung und Reformen kommen für eine Mehrheit auch der Bürger kaum infrage, und seit Jahrzehnten gab es keinen ausgeglichenen Haushalt mehr.

Wenn mehr Wachstum nicht machbar ist, die Investoren aber immer vorsichtiger agieren, der Ausgabendruck steigt und der politische Bewegungsspielraum schwindet, droht Kontrollverlust – und die Versuchung zu finanzieller Repression ist groß. Dies geschieht etwa durch Druck auf die Notenbank, die Zinsen zu senken, obwohl mehr Inflation droht. Zudem könnten Banken etwa gezwungen werden, Staatsbonds zu halten; oder es werden Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. In den USA wird zudem schwadroniert, ausländische Investoren mit einer Sondersteuer zu belegen, um sie am Verkauf zu hindern.

Kontrolle bereits verloren?

Schon jetzt scheinen im Hinblick zumindest auf die USA „die üblichen Instrumente der Wirtschaft“ nicht mehr richtig zu funktionieren. Die US-Notenbank könne „die Gesamtkreditvergabe im System nicht mehr effektiv bremsen“. Erhöhe sie die Zinsen, um das private Kreditwachstum zu begrenzen und die Inflation zu bekämpfen, führe das ironischerweise zu einem schnelleren Anstieg des Staatsdefizits als zur Verlangsamung des Kreditwachstums im Privatsektor. „Damit befinden wir uns aktuell in einem Umfeld der fiskalischen Dominanz der Geldpolitik“, schreibt etwa Berenberg in einer Studie.