Schlechter Start nach der Sommerpause

Starmer im Krisenmodus

Keir Starmer steht unter Druck. Seine Stellvertreterin Angela Rayner hat zu wenig Steuern gezahlt und Schatzkanzlerin Rachel Reeves zögert den Haushalt hinaus.

Starmer im Krisenmodus

Britische Regierung im Krisenmodus

Steuerhinterziehungsvorwürfe gegen Stellvertreterin Angela Rayner – Rachel Reeves legt Haushalt erst am 26. November vor

Keir Starmer hat ein Problem: Seine Stellvertreterin gibt zu, beim Kauf ihres zweiten Eigenheims zu wenig Steuern gezahlt zu haben. Zugleich zögert Schatzkanzlerin Rachel Reeves den Haushalt bis zum 26. November hinaus. Das verstärkt die Ungewissheit, unter der die britische Wirtschaft derzeit leidet.

Von Andreas Hippin, London

Großbritanniens stellvertretende Premierministerin Angela Rayner kämpft um ihre politische Zukunft. Sie musste zugeben, beim Kauf ihres zweiten Eigenheims zu wenig Stempelsteuer gezahlt zu haben. Der konservative „Daily Telegraph“ hatte den Skandal aufgedeckt. Es geht demnach um 40.000 Pfund, die für den Erwerb der 800.000 Pfund teuren Immobilie am Meer fällig gewesen wären.

Auf das Gebäude in Hove, einer Hochburg der akademischen Linken, wurde mittlerweile „Steuerhinterzieherin“ geschmiert. In Lila. Tatsächlich ist bei genauer Betrachtung des Vorgangs für Nicht-Steuerexperten nicht einsichtig, warum Rayner so viel Stempelsteuer hätte zahlen müssen. Der moralische Furor, der ihr von den Oppositionsbänken entgegenschlägt, ist unangebracht.

Rayners Doppelmoral

Rayner wendete sich an Laurie Magnus, der Premier Keir Starmer in Ethikfragen berät. Der City-Veteran prüft nun, ob Rayner gegen die Standards für Minister (Ministerial Code) verstoßen hat. Bildungsministerin Bridget Phillipson, die Schulgebühren mit der Mehrwertsteuer belegte, sprang ihr bei. Rayner habe in gutem Glauben gehandelt, sagte sie am Donnerstagmorgen diversen Medien. Sie sei der Ansicht gewesen, alle Regeln eingehalten zu haben. Doppelmoral kann man der „Red Queen“ Rayner aber durchaus vorwerfen. Schließlich hatte sie sich in der Opposition noch für eine Verschärfung der Standards für Kabinettsmitglieder starkgemacht.

Als der damalige konservative Schatzkanzler Nadhim Zahawi Probleme mit der Steuerbehörde HMRC hatte, nannte sie seine Position „unhaltbar“. Er einigte sich schließlich mit der Behörde auf die Zahlung von 5 Mill. Pfund. Dagegen geht es im Rayner-Skandal um Peanuts.

Warten auf Klarheit

Angesichts des Spektakels droht unterzugehen, dass sich Schatzkanzlerin Rachel Reeves mit ihrem Haushaltsentwurf erneut Zeit lassen will. Im vergangenen Jahr legte sie ihn ungeachtet aller Verunsicherung über den Kurs der neuen Regierung erst am 31. Oktober (Halloween) vor.

Dieses Jahr müssen Unternehmen und Bürger bis zum 26. November auf Klarheit darüber warten, wo und in welchem Ausmaß sie stärker zur Kasse gebeten werden. Spekuliert wird über eine Erhöhung der Kraftstoffsteuer ebenso wie über die Erhebung von Sozialversicherungsabgaben auf Mieteinnahmen. Firmen warten deshalb bei Investitionen und Neueinstellungen lieber erst einmal ab.

Kalte Progression

Dass sie stärker zur Kasse gebeten werden, ist klar. Denn im Haushalt klafft ein Milliardenloch. Aus Sicht der Volkswirte von Barclays muss Reeves 26,5 Mrd. Pfund auftreiben, um ihre eigenen Fiskalregeln einzuhalten. Sie rechnen damit, dass sich Reeves die kalte Progression zunutze macht und einfach die Schwellen für den jeweils nächsthöheren Einkommenssteuersatz nicht anhebt.

Das Nationale Institut für Wirtschafts- und Sozialforschung (NIESR) bezifferte die Finanzierungslücke im vergangenen Monat auf 41,2 Mrd. Pfund. Reeves sagte nun der BBC, der Thinktank habe in den vergangenen Jahren häufiger als andere mit seinen Zahlen falsch gelegen. Eine Menge Spekulationen über ihre Pläne seien Unsinn. Ihr gehe es um die richtige Balance.

„Arbeitnehmer und Unternehmen können beruhigt sein“, sagte sie dem öffentlich-rechtlichen Sender. „Ich weiß, wie wichtig es ist, das Investitionswachstum in unserer Wirtschaft wiederherzustellen.“ Das werde sie im diesjährigen Haushalt tun. Zu den Wahlversprechen von Labour gehörte, arbeitende Menschen nicht stärker zu besteuern – also Mehrwertsteuer, Sozialversicherungsbeiträge und Einkommenssteuer nicht zu erhöhen. Die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber hat Reeves bereits angehoben.

Reeves beschwichtigt

Vor dem jüngsten Skandal um Rayner galt Reeves als angezählt. Natürlich müsse man Steuern in richtiger Höhe zahlen, sagte die Schatzkanzlerin. Jeder müsse sich damit befassen, welche Steuern für ihn gelten.

Bislang leiden vor allem beschäftigungsintensive Branchen wie der Einzelhandel und das Gastgewerbe unter den Maßnahmen der Regierung. Aber auch die Klimapolitik von Energieminister Ed Miliband hinterlässt Spuren: Die Zementproduktion ist auf den tiefsten Stand seit 1950 gefallen. Der Branchenverband MPA (Mineral Products Association) macht dafür unter anderem die hohen regulatorischen Kosten verantwortlich.

Zementproduktion so niedrig wie 1950

Großbritannien stehe vor der Wahl, neue Wohnungen, Krankenhäuser oder Infrastruktur mit britischem oder importiertem Zement zu bauen, sagt Verbandschefin Diana Casey. Importe sorgten für Arbeitsplätze, Investitionen und Wachstum jenseits der Landesgrenzen. Der Marktanteil von importiertem Zement verdreifachte sich seit 2008 nahezu. Er beläuft sich auf knapp ein Drittel.

hip London