KolumneArbeitszeit und Wachstum

Stillstand als deutsche Tugend?

Die Forderung nach der Streichung von Feiertagen ist zu simpel gestrickt. Die Lage ist viel komplexer. Ökonomen, Unternehmer, Politiker – aber auch die Bürger selbst – drücken sich davor.

Stillstand als deutsche Tugend?

Arbeitszeit und Wachstum

Stillstand als deutsche Tugend?

Die Forderungen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft werden immer drängender: Später in Rente, weniger Urlaub, Feiertage streichen

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Die Forderung nach der Streichung von Feiertagen ist zu simpel gestrickt. Die Lage ist viel komplexer. Ökonomen, Unternehmer, Politiker – aber auch die Bürger selbst – drücken sich vor schmerzhaften Reformen. Die Simplifizierung der Lage ist zudem einer Lösung nicht dienlich, weil sie Widerstand hervorruft.

Die jüngst wiederholte Forderung von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche nach einem späteren Renteneintritt im Zuge von Sozialreformen ist nur fair. Zum einen gegenüber den Generationen zuvor, die auch während der Woche schon länger gearbeitet haben als die Babyboomer heute. „Samstags gehört Vati mir!“, war mal ein Gewerkschaftsslogan. Zum anderen aber noch mehr gegenüber der jüngeren Generation, die für die Ruhestandsfinanzierung der Vorgeborenen immer höhere Beiträge zahlen und obendrein für ihre eigene Altersvorsorge etwas zurücklegen muss. Von den steigenden Krankenkassen- und Pflegebeitragen ganz zu schweigen.

Trügerische Statistiken

Diese Forderung Reiches ist also nachvollziehbar und logisch. Aber eine Reihe von anderen Ideen aus den Mündern von Ökonomen, Unternehmern und Politikern mit Blick auf Feier- und/oder Urlaubstage, oder bezogen auf eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit, sind nicht nur unfair, sondern auch unklug und kontraproduktiv. „Die Deutschen arbeiten zu wenig!“, heißt es gerne pauschal und laut. Die Deutschen, ein Volk von Faulpelzen und Freizeitweltmeistern also? Die dabei immer gerne präsentierten Statistiken sind trügerisch und müssen wertberichtigt werden. Ein großer Teil der scheinbaren „Arbeitsscheu“ ist auf die hohe Teilzeitquote hierzulande zurückzuführen. Noch vor wenigen Jahren hatte die gleiche Gruppe der Arbeitszeitkritiker die Teilzeitmöglichkeiten ja noch begrüßt. Schließlich sorgte sie dafür, dass die Erwerbsquote von Frauen deutlich angestiegen ist. Und mit Verweis auf das Ausland wird das ja auch gerne lobend erwähnt. Zudem kann man davon ausgehen, dass im durchbürokratisierten Deutschland Arbeitszeiten genauer erhoben werden als in manch anderen Ländern. Selbst Pausen werden hierzulande ja gesondert erfasst. Zugleich meldet das Statistische Bundesamt, dass hierzulande gleichzeitig eine Menge an Überstunden anfallen und angemeldet werden.

Milchmädchenrechnung

Gerne führen Ökonomen an, dass mit dem Wegfall von freien Tagen automatisch die Wertschöpfung steigt, also mehr Wohlstand erarbeitet würde. Das aber könnte sich als Milchmädchenrechnung erweisen, wie eine Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zeigt. Die Forscher haben Streichungen aus den vergangenen 30 Jahren untersucht und fanden „keine Belege dafür, dass die Abschaffung von Feiertagen die Wirtschaftsleistung erhöht“. Im Falle Sachsens, das einst den Buß- und Bettag anders als die anderen Bundesländern beibehalten hatte, war sogar eine gegenteilige Wirkung feststellbar: Die Wirtschaft entwickelte sich besser als anderswo. Auch Berlin habe nach Einführung des Internationalen Frauentags als Feiertag ein höheres Wachstum erzielt als der Bundesdurchschnitt.

Die Arbeits(un)zufriedenheit könnte also eine Art Katalysator sein für Erfolg – aber auch Misserfolg der Arbeitszeitpolitik. Die Wohlstandsarithmetiker sollten also nicht nur auf ihre Zahlen schauen, sondern die möglichen Reaktionen ihrer Versuchskaninchen in der Arbeitswelt ebenso im Blick behalten.

Letztendlich dreht sich ja alles darum, dass in Deutschland zum Erhalt des Wohlstands mehr Wertschöpfung erwirtschaftet werden muss. Das ist richtig – vor allem angesichts einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung. Dass Unternehmen vor diesem Hintergrund aus dem verfügbaren Erwerbspersonenpotenzial mehr herausholen wollen, am besten noch, ohne mehr dafür zahlen zu müssen, ist nachvollziehbar. Man darf den Menschen aber nicht unterstellen, sie würden „zu wenig arbeiten wollen“. Das musste zuletzt auch die Lokführergewerkschaft GDL feststellen, die nach allen Regeln der Kunst einen Tarifvertrag herausgehandelt hatte, um ihren Mitgliedern weniger Arbeit bei quasi gleichem Lohn anbieten zu können. Bloß wollen die das gar nicht, und setzen lieber auf Mehrarbeit bei höherem Lohn, wie sich jetzt zeigt.

Politisches Versagen

Die Stellschrauben, um jenseits oder ergänzend zu reiner Mehrarbeit mehr Wertschöpfung mit dem vorhandenen Erwerbspersonenpotenzial zu erwirtschaften sind bekannt: höhere Produktivität, um im internationalen Preiswettbewerb bestehen zu können, sowie bessere und marktgängigere Produkte, um die Nachfrage auszuweiten und in Zukunftssektoren vorzudringen, wo heimische Produkte nicht so leicht durch die Konkurrenz ersetzbar sind.

Beides erfordert Investitionen, Forschung & Entwicklung sowie top ausgebildete Fachkräfte. Allerdings sind es die Unternehmen, die in den vergangenen Jahren ihre Investitionen zurückgefahren haben, auch jene für Modernisierung. Sie tragen insofern eine Mitschuld durch verfehlte Produktpolitik und dass Deutschland in der Middle-Technology-Trap gefangen ist. Kurz: Unsere Produkte sind technologisch hochwertig, aber zählen nicht zu HighTech, wo die Konkurrenz viel dünner gesät ist und die Renditen deshalb extrem hoch sind.

Aufgabe der Politik wiederum ist es, das steuerlich Umfeld investitionsfreundlich zu gestalten, Kosten und Aufwand durch Entbürokratisierung und Deregulierung zu senken, und einen klaren Zukunftskurs nicht nur zu deklamieren, sondern auch überzeugend in die Wege zu leiten. Hierbei hat Berlin bislang versagt. Die Pisa-Ergebnisse zeigen eher unterdurchschnittliche Bildungsergebnisse, es hapert bei der Umsetzung von Forschung in Produkte hierzulande (die Gründer wandern eher in die USA aus), zudem sind die Energiekosten extrem hoch und mit der Finanzierung klappt es nicht so recht, auch weil Deutschland bei der Etablierung des europäischen Kapitalmarkts bremst und allenfalls in Sonntagsreden den Binnenmarkt in Lobreden preisen.

Der Souverän gibt den Ton vor

In vielerlei Hinsicht sind es aber die Deutschen selber, die im Stillen auch gutheißen, wenn es bei Ankündigungen und Lobpreisungen bleibt sowie Reformen in die Zukunft verlagert werden. Denn sobald Veränderungen ruchbar werden, wie bei den wohl nicht mehr aufzuschiebenden Reformen der Sozialkassen, wird gerne mit Protest gedroht – an der Wahlurne. Und manchmal werden damit auch Parteien Blockademehrheiten verschafft, welche Stagnation und Stillstand eher verfestigen. Denkzettelwahl wird das dann genannt, weil es gegen „die da oben“ geht. Dabei sind letztlich sie selbst die Opfer einer darbenden deutschen Wirtschaft.

Aber sobald einer von „denen da oben“ einmal Mut zeigt und unkonventionelle (Reform-)Vorschläge präsentiert, wird er in Social Media und in den Kommentarspalten einschlägiger Medien niedergemacht. Denn irgendeine Unstimmigkeit in den Vorschlägen lässt sich immer finden – und eine Aktivisten- oder Lobbygruppe ebenso, die man dagegen in Stellung bringen kann.

Es ist die deutsche Gesellschaft, die mit ihrer Technik- und Kapitalismusfeindlichkeit den heimischen Standort verkümmern und rückständig werden lässt. Es sind wir selber, die wir mehr nach Absicherung statt Risiko streben, die Stillstand dem Strukturwandel vorziehen, die ein Weiter-so besser finden als unbequeme Reformen, die uns aus dem Trott reißen.

Zu komplex für eine Demokratie?

In anderen Ländern ist man da viel mutiger, dereguliert, entbürokratisiert, lässt einfach machen und schaut dann, was passiert bei KI, Krypto, Quantencomputing, Biotech und Atomkraft. Der AI-Act und die Umsetzung in Deutschland, die DSGVO und die mannigfaltigen Spielarten im deutschen Bundesländermikado und die engstirnigen nationale Interessen- und Sektorenpolitik beim europäischenn Kapitalmarkt, dem digitalen Euro und bei der Regulierung von StableCoins sind nur einige jener Schmerzpunkte, über die wir uns hinwegsetzen müssten.

Das aber ist alles zugegebenermaßen komplex, lässt sich nicht in 1:30 Minuten abhandeln, oder in einen TikTok-Clip reinquetschen. Viel einfacher ist es da, die Abschaffung von Feiertagen zu verlangen. Vielleicht haben die Vertreter dieser Forderung längst kapituliert und wollen die Botschaft so einfach wie möglich halten?