„Strukturwandel zulassen statt aufhalten“
„Strukturwandel zulassen statt aufhalten“
„Strukturwandel zulassen statt aufhalten“
Reiche-Berater legen Eckpunkte für eine Reformagenda vor – Ökonomen fordern mehr Wettbewerb und Deregulierung
Der Beraterkreis von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat Eckpunkte für eine Reformagenda vorgelegt, die Deutschland zurück auf einen Wachstumskurs bringen soll. Die Ökonomen fordern dabei vor allem mehr Wettbewerb und Deregulierung. Den Industriestandort in seiner heutigen Form stellen sie in Frage.
ahe Berlin
Die Ökonomen Justus Haucap, Veronika Grimm, Stefan Kolev und Volker Wieland haben eine ordnungspolitische Agenda für neues Wachstum gefordert. „Ohne einen klaren Kurswechsel wird Deutschland weiter zurückfallen – mit gravierenden Folgen für Wohlstand, Stabilität und die Rolle Europas in einer machtorientierten Welt“, warnten die vier Berater von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche in einem am Montag vorgestellten Gutachten. Sie plädierten darin insbesondere für mehr Innovationen und Wettbewerb, eine strategischere Ausrichtung staatlicher Investitionen, eine konsequente Deregulierung sowie Sozialreformen.
Die Ökonomen verwiesen darauf, dass Deutschland seit 2019 stagniere und in einer Strukturkrise verharre, während vergleichbare Volkswirtschaften deutlich dynamischer wachsen. Das Land müsse künftig „Strukturwandel zulassen statt aufhalten“, hieß es. Die Wirtschaftsweise Grimm kritisierte die zu geringen Investitionen in Hochtechnologie-Branchen. Die bisherige Spezialisierung auf etablierte „Mitteltechnologien“ werde zunehmend zu einem Standortnachteil.

Das Ziel sollte nicht zwingend darin liegen, bestehende Unternehmen und Industrien durch staatliche Unterstützung wettbewerbsfähig zu machen, sondern einen „wachstumsorientierten Strukturwandel“ zu ermöglichen, hieß es. Kolev sprach bei der Vorstellung der Studie von einer nötigen „Umindustrialisierung“, bei der dann neue industrielle Arbeitsplätze im Land entstünden.
In dem Gutachten wird eindringlich dafür geworben, wachstumshemmende Regulierung abzuschaffen und nicht einfach nur Bürokratie zu vereinfachen. Nötig sei, hier „rigoroser aufzuräumen als in der Vergangenheit“, betone Haucap. Im Fokus der Ökonomen standen zudem Strukturreformen in den Sozialsystemen, insbesondere bei Rente, Bürgergeld und Gesundheit/Pflege. Sie beließen es aber bei Stichworten, ohne konkrete neue, durchgerechnete Reformvorschläge vorzulegen. Die „Friedensdividende“ sei lange für Ausgaben im Sozialstaat genutzt worden, kritisierte Grimm. Die Ansprüche in diesem Bereich seien aber zukünftig nicht mehr finanzierbar.
Positive Wachstumsprognose für 2026 erwartet
Wirtschaftsministerin Reiche lobte die Impulse aus dem Gutachten und betonte: „Deutlich ist die Therapie, die das Gutachten vorschlägt: mehr Markt, weniger Mikrosteuerung.“ Die CDU-Politikerin wird am Mittwoch die Herbstprojektion der Bundesregierung vorstellen. Nach Informationen von Reuters sieht die neue Prognose ab 2026 ein deutliches Anziehen des Wirtschaftswachstums vor. So soll demnach das BIP 2026 um 1,3% und 2027 um 1,4% zunehmen. Getragen werde der Aufschwung von einer deutlichen Zunahme der Bruttoanlageinvestitionen und weniger vom Außenhandel.
Reiches Berater Wieland räumte ein, dass die neuen Verschuldungsspielräume durch das Sondervermögen kurzfristig für eine gewisse konjunkturelle Belebung sorgen könnten. „Doch eine echte Trendwende ist ohne weitreichende Reformen nicht in Sicht“, warnte er. Statt grundlegender Strukturreformen setzt die Politik bislang vor allem auf konsumtive Ausgaben und kurzfristige Entlastungen.
Staatliche Investitionen richtig einsetzen
Zudem müsse der Rahmen für die zusätzlichen Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung richtig gesetzt sein, um keine falschen Anreize zu schaffen.
Es dürfe keinen ausschließlichen Fokus auf den Mittelabfluss aus dem Sondervermögen geben, hieß es. Die Berater halten es außerdem für wichtig, ein Monitoring für die Investitionen zu implementieren, das deren Priorisierung und Fokussierung erleichtert. Damit die zusätzlichen Investitionen in den Verteidigungssektor auch das Potenzialwachstum erhöhen, raten die Ökonomen auf eine Konzentration auf so genannte Dual-use-Güter, mit denen es Spillover-Effekte auf andere Branchen und damit ein Technologietransfer gelinge.
Die Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Helena Melnikov, erklärte, die Wirtschaft könne und wolle die Trendwende mitgestalten, wenn die Politik jetzt entschlossen handele. „Wir brauchen spürbar mehr Freiräume für neue Technologien und Geschäftsmodelle und weniger Detailsteuerung“, stellte sie klar. Der Staat müsse priorisieren, Verfahren beschleunigen und Gold-Plating bei der Umsetzung von EU-Gesetzgebung beenden, so Melnikov. „So entsteht Vertrauen und es fließen wieder private Investitionen.“