Wirtschaftsweise

„Substanzielles Rezessionsrisiko“

Die Wirtschaftsweisen haben ihre Prognose für das deutsche Wirtschaftswachstum für 2022 mehr als halbiert. Selbst eine Rezession wegen der Folgen des Ukraine-Krieges schließen sie nicht aus. Zudem rief das Gremium dazu auf, die Abhängigkeit von russischen Energieimporten möglichst schnell zu beenden.

„Substanzielles Rezessionsrisiko“

ba Frankfurt

„Das Risiko einer Rezession ist substanziell“, sagte der Wirtschaftsweise Volker Wieland bei der Vorstellung des Prognoseupdates des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte in diesem Jahr nur mehr um 1,8% zulegen (siehe Grafik). Im November gingen die derzeit vier Wirtschaftsweisen – ein Platz in dem Beratergremium ist weiter unbesetzt – noch von einem Plus von 4,6% aus. Käme es aber etwa zu einem Importstopp russischer Energielieferungen oder einem Energieembargo seitens des Westens, könne es noch schlimmer kommen. Das heiße zwar nicht, dass die Wirtschaft zum Stillstand komme, betonte Wieland, „aber es wäre eine schwere Belastung“. Umso mehr, als Deutschland im Gegensatz zu anderen Volkswirtschaften wie den USA das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht habe. Dies werde erst in diesem Sommer der Fall sein.

Deutschland hinkt vor allem wegen der großen Abhängigkeit von – vor allem russischen – Energielieferungen anderen Ländern wirtschaftlich hinterher. Die Abhängigkeit berge „das erhebliche Risiko einer geringeren Wirtschaftsleistung und höherer Inflation“, erklärte Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. Deutschland solle „umgehend alle Hebel in Bewegung setzen, um sich gegen einen möglichen Stopp russischer Energielieferungen zu wappnen und gleichzeitig die Abhängigkeit rasch zu beenden“, forderte Wieland. So könne die Energiesicherheit in Deutschland auf Dauer erhöht werden – auch wenn dadurch die Energiepreise für einige Zeit erhöht bleiben würden. Dies treibt auch die Inflation: Die Wirtschaftsweisen erwarten eine Inflationsrate von 6,1% im laufenden Jahr. Bei weiter steigenden Öl- und Gaspreisen könnten es gar 7,5% bis knapp 9% werden. Für 2023 wird eine Teuerungsrate von 3,4% prognostiziert.

Aufruf zum Energiesparen

Das Gremium rief daher auch zum Energiesparen auf – etwa indem Fahrgemeinschaften gebildet oder verstärkt der öffentliche Nahverkehr genutzt werde. Im Entlastungspaket der Bundesregierung ist unter anderem auch ein 9-Euro-Ticket für den Nahverkehr vorgesehen. Der Idee künstlich niedriger Spritpreise hingegen erteilten die Wirtschaftsweisen eine Absage. Dies wäre ein falsches Signal und würde das Gegenteil dessen bewirken, was derzeit nötig sei: nämlich Energie zu sparen. Ein Tempolimit aber hätte man auch allein wegen der Signalwirkung in Betracht ziehen können, erklärte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Die Bundesregierung hatte am Mittwoch die erste Stufe eines Notfallplans Gas ausgerufen.

Eine Sache, so mahnte Schnitzer, solle man auch noch im Auge behalten: „Wir haben nicht nur einen Krieg, wir haben immer noch Omikron, also immer noch eine Pandemie.“ Und da werde vor allem die Entwicklung in China ganz zentral sein, betonte Schnitzer. Denn dort gingen die Zahlen hoch, es werde mehr geschlossen, wie die Situation in Schanghai etwa zeige. „Das kann wieder deutliche Auswirkungen auf unsere Lieferketten haben.“ Die Lieferketten hätten ebenfalls dazu beigetragen, dass das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht ist. „An der Stelle hätte ich auch gar nicht die Meinung, dass wir (mit unserer Prognose) zu pessimistisch hineingehen – vielleicht gar nicht pessimistisch genug“, urteilt Schnitzer. In den vergangenen Tagen haben Ökonomen reihenweise die Prognosen nach unten geschraubt – auf Werte zwischen 2,1 und 3,1% im Schnitt.

Mit Blick auf den Arbeitsmarkt steht die Prognose der Wirtschaftsweisen im Einklang mit anderen Voraussagen: Er „zeigt sich weiterhin robust“, sagte Achim Truger. Die Arbeitslosenzahl dürfte in beiden Jahren merklich sinken.

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