Währungskrise

Teuerung in der Türkei gerät außer Kontrolle

Vor dem Hintergrund der schweren Währungskrise in der Türkei gerät die Teuerung immer mehr außer Kontrolle. Zudem wachsen Zweifel an den offiziellen Zahlen. Die Notenbank interveniert zum zweiten Mal in kurzer Zeit.

Teuerung in der Türkei gerät außer Kontrolle

rec Frankfurt

Die Inflation in der Türkei gerät immer mehr außer Kontrolle. Waren und Dienstleistungen verteuerten sich im November um 21,3% zum Vorjahresmonat, wie das Statistikamt am Freitag mitteilte. Die Sorgen angesichts rasant steigender Lebenshaltungskosten und der Währungskrise wachsen – zumal Regierungskritiker und manche Beobachter die offiziellen Zahlen sogar noch für geschönt halten.

Der neuerliche Anstieg der Teuerungsrate und der damit einhergehende Druck auf die Lira veranlassten die Zentralbank zu einer neuerlichen Intervention am Devisenmarkt. Sie verkaufte zum zweiten Mal binnen drei Tagen Fremdwährungsreserven, um die Lira zu stützen. Den Schritt begründete sie auch diesmal mit „ungesunder Preisbildung“ bei den Wechselkursen. Wegen wiederholter Zinssenkungen bei anhaltend hoher Inflation ist die Landeswährung allein im November um mehr als ein Viertel eingebrochen. Auf Jahressicht hat sich ihr Wert beinahe halbiert. In der Spitze wurden für einen Dollar zuletzt fast 14 Lira fällig. Der nächste Zinsentscheid in der Türkei ist am 16. Dezember.

Der Preisdruck ist wegen der drastischen Lira-Abwertung so hoch wie seit drei Jahren nicht. Weil das Land auf die Einfuhr von Energie angewiesen ist, fachen die sehr teuren Importe die ohnehin beträchtliche Inflation zusätzlich an. Türkische Haushalte weichen Berichten zufolge inzwischen auf Kohle und Holz aus, um zu heizen. Vor allem Lebensmittel, Restaurantbesuche und Hotelunterkünfte kosteten spürbar mehr.

Auch die sogenannte Kerninflationsrate ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel zog im November wieder stärker an, nachdem sie zuvor leicht rückläufig war. Die Notenbank hatte damit Zinssenkungen gerechtfertigt. Sie gilt als politisch abhängig von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Dieser bekräftigte zuletzt seine Aversion gegen hohe Zinsen. Zudem sprach er von einem „wirtschaftlichen Unabhängigkeitskrieg“ der Türkei. Er hat seinen Finanzminister, der die Zinssenkungen kritisch sieht, gegen einen Gefolgsmann ausgetauscht. Das nährt an den Märkten Sorgen, dass sich die ohnehin beispiellose Währungskrise in der Türkei noch weiter verschärft.

Umfragen zeigen, dass viele Türken die Glaubwürdigkeit der Inflationsdaten anzweifeln. Sie gehen davon aus, dass die Inflation noch weit höher ist, da allein die Preise für Grundgüter wie Lebensmittel in diesem Jahr um 30% gestiegen sind. Innenpolitisch nimmt der Widerstand gegen Erdogan zu. „Die Zahlen sind nicht zuverlässig“, sagte der Vorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, laut der Nachrichtenagentur Reuters vor dem Hauptsitz des Statistikinstituts. Dort habe er das Thema ansprechen wollen, doch sei ihm der Zutritt verwehrt worden. „Ich rufe alle meine Mitbürger auf: Wenn Sie auf den Markt gehen, wenn Sie Ihr Gas aufdrehen, Ihre Heizung anstellen, ist die Inflation wirklich so, wie behauptet wird?“, sagte Kilicdaroglu. Die Krise hat die Ratingagentur Fitch veranlasst, ihren Bonitätsausblick von „stabil“ auf „negativ“ zu senken.

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