NOTIERT IN BRÜSSEL

Töpfern und zeichnen

Zum ersten Mal ist Belgien in der kommenden Woche Gastgeber beim jährlich stattfindenden informellen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der deutschsprachigen Staaten. Bundespräsident Joachim Gauck wird ebenso anreisen wie seine Kollegen...

Töpfern und zeichnen

Zum ersten Mal ist Belgien in der kommenden Woche Gastgeber beim jährlich stattfindenden informellen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der deutschsprachigen Staaten. Bundespräsident Joachim Gauck wird ebenso anreisen wie seine Kollegen aus der Schweiz, Luxemburg und Liechtenstein. An den Abend im Königsschloss in Laeken am Fuße des Brüsseler Atomiums schließen sich am Donnerstag dann die Gipfelgespräche in Eupen an, der Hauptstadt der gut 76 000 Mitglieder umfassenden deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien. Das Damenprogramm sieht in der Zwischenzeit ein ganz besonderes Schmankerl vor: den Besuch im nahen Töpfereimuseum (anschließend Bad in der Menge). *Nun denn, die Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden. Aber bei der Präsentation belgischer Kunst hätte es nicht unbedingt das Töpfern sein müssen. Die Zeichenkunst hätte es vielleicht auch getan – ein Besuch in der immer noch quicklebendigen Comic-Szene des Landes wäre sicherlich erbaulicher gewesen. Comics, so sagt man, sind schließlich ein Teil der belgischen Identität und tief in der Kultur des Landes verankert. Es ist wahrlich kein Zufall, dass jeder Flugreisende am Airport Brüssel erst einmal einen mehrere Meter hohen Nachbau der berühmten rot-weißen Mondrakete aus den “Tim und Struppi”-Heften passiert. Dass in Belgien auch der mittlerweile abgedankte König Albert II. offiziell bestätigt, noch im hohen Alter Comics zu lesen, ist völlig normal. *Die bekanntesten Geschichten der belgischen Zeichner – neben dem Reporter Tim und dem Cowboy “Lucky Luke” gehören auch die “Schlümpfe” dazu – sind schon Jahrzehnte alt. Dies bedeutet aber nicht, dass die Comic-Szene des Landes nur vom Ruhm der Vergangenheit lebt. Im Gegenteil: In den vergangenen 20 Jahren hat es einen regelrechten Boom gegeben. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge erscheinen pro Jahr 5 000 bis 8 000 neue Comic-Hefte oder -Bücher aus belgischer Feder. Das sind rund zehnmal so viele wie noch in den achtziger Jahren. Die florierende Branche hat auch als Wirtschaftsfaktor durchaus Gewicht. Sie steht heute für rund 60 % des belgischen Verlagswesens. Der Umsatz liegt im dreistelligen Millionenbereich. Die bunten Hefte aus Belgien sind ein Exportschlager – und zugleich auch ein Touristenmagnet. In das mehr als 4 000 Quadratmeter große Comic-Museum in der Hauptstadt des Landes strömen jährlich mehr als 200 000 Besucher und kaufen anschließend massenhaft Tassen, Bücher und T-Shirts mit ihren Lieblingsfiguren im Museumsshop. Die geführten Touren zu den fast 50 mit berühmten Comic-Figuren bemalten Häuserfassaden in der Brüsseler City sind ein Hit unter den Touristen. *Für die Zeichner der bunten Geschichten, die eigentlichen Künstler in dem Gewerbe, ist die Situation angesichts der massiven Konkurrenz allerdings alles andere als einfach. Mehr als 700 fest angestellte Comic-Zeichner gibt es bei den belgischen Verlagen. Hinzu kommen unzählige freischaffende Künstler, zum Teil mit erstklassiger Ausbildung. Denn gleich an mehreren Universitäten gibt es offizielle Studiengänge in diesem Bereich. Die traditionsreichste Lehrstätte darunter ist sicherlich die Kunsthochschule Saint Luc in Brüssel, die das Fach “Illustration und Comics” anbietet. *An diesem Wochenende strömen wieder Tausende Besucher in die Brüsseler Innenstadt, um sich das heute beginnende dreitägige Comic-Festival anzuschauen. Eine Parade mit bis zu 20 Meter hohen aufblasbaren Comic-Helden ist geplant. Bekannte und unbekannte Zeichner präsentieren live ihre Arbeiten. Und am Sonntag werden mehr als 80 Autos und Motorräder auf eine 100 Kilometer lange Rallye geschickt – alles Nachbauten von Fahrzeugen, die einst in den “Tim und Struppi”-Heften auftauchten. Aber wie gesagt: Die Geschmäcker sind verschieden. Und vielleicht ist Töpfern ja auch ganz nett.