Hinter Autos und vor Elektronik

Tourismus nun Japans zweitgrößter „Exportartikel“

Die Ausgaben von Auslandstouristen in Japan werden unsinnigerweise als „Ausfuhren“ klassifiziert. Dessen ungeachtet haben sie sich zu einem bedeutenden Wachstumstreiber entwickelt.

Tourismus nun Japans zweitgrößter „Exportartikel“

Japans Exportschlager heißt Tourismus

Die hohen Ausgaben der Auslandsbesucher sind eigentlich keine Exporte, aber für Japans Wirtschaft längst unverzichtbar.

Von Martin Fritz, Tokio

Bekanntermaßen ist Japan ein Archipel. Daher ist das Messen von Im- und Exporten recht einfach, da Güter nur über Schiffs- und Flughäfen ins Land kommen oder herausgehen. Doch bei ausländischen Touristen lassen Japans Behörden jede Systematik vermissen. Sie gelten als Exporteure, obwohl sie sich genau genommen erst selbst importieren und am Besuchsende wieder exportieren. Auch rechnen die Wirtschaftsstatistiker ihre Ausgaben während des Aufenthalts, die ja im japanischen Inland erfolgen und nur zu geringem Teil in Form von Souvenirs nach Hause ausgeführt werden, als Exporte.

Heiß auf Sneaker und Sushi

Nur wer diese seltsame „Logik“ akzeptiert, kann die japanische Schlagzeile nachvollziehen, wonach „der Tourismus bei den Exporten inzwischen an zweiter Stelle“ steht. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres gaben die 21,5 Mill. ausländischen Besucher für Unterkünfte, Reisen, Einkäufe, Attraktionen sowie Essen und Trinken insgesamt 4,8 Bill. Yen (27,9 Mrd. Euro) aus. Nutznießer sind die Hersteller „typisch“ japanischer Produkte, darunter die „Onitska-Tiger“-Sneaker von Asics, T-Shirts von Uniqlo und Goodies von Hello Kitty. Aber auch die Sushiro-Restaurantkette, die Sushi auf dem Laufband serviert.

Die Ausgabensumme der Ausländer war höher als der Exportwert von elektronischen Komponenten und Geräten von 3,8 Bill. Yen (22,3 Mrd. Euro). Diese elektronischen Güter waren lange Zeit der zweitstärkste Sektor in den japanischen Ausfuhren. Nur wenn man alles an elektrischen und Halbleiter-Waren zusammenrechnet, behält dieser Bereich mit 6,5 Bill. Yen seinen zweiten Platz.

Noch Potenzial für Tourismus

Unangefochten an der Spitze liegen die Ausfuhren von Autos. Der Exportwert von Personenwagen zwischen Januar und Juni betrug 7,8 Bill. Yen, einschließlich Nutzfahrzeugen waren es 8,7 Bill. Yen (50,6 Mrd. Euro). Dazu kamen noch Autoteile. Der bisher klare Vorsprung dürfte in den nächsten Jahren aber schmelzen, falls der aktuelle Aufwärtstrend bei den Besuchern weitergeht. Die Regierung strebt für 2030 eine jährliche Besucherzahl von 60 Millionen an, rund 50% mehr als die in diesem Jahr erwarteten 40 Millionen. Sollte dieses Wachstum bei einer konstanten Ausgabenhöhe zustande kommen, würde der Tourismus zum größten „Exportsektor“ aufsteigen. Eine starke Aufwertung des Yen oder eine neue Pandemie könnten diese Rechnung natürlich durchkreuzen.

Diese positive Entwicklung konnte sich kaum jemand vorstellen, als der damalige Premier Shinzo Abe den Tourismus in die Abenomics-Wachstumsstrategie aufnahm und dafür die Visumbedingungen für Besucher aus Asien stark lockerte. Laut dem Mastercard Economics Institute (MEI) trugen die Auslandstouristen 0,4 Prozentpunkte zum BIP-Wachstum von 0,1% im Jahr 2024 bei. Unter Verwendung eines von der OECD entwickelten Multiplikators errechnete das MEI, dass jeder von ausländischen Besuchern ausgegebene Yen 80 Yen an zusätzlicher Wirtschaftstätigkeit generiert, etwa den Bau von neuen Hotels. Immerhin werden solche Effekte nicht als „Exporte“ gerechnet.