Notiert inBrüssel

"Tricksen, Täuschen, Tarnen": Ungarns Milliarden aus Brüssel in weiter Ferne

"Unsere Reise nach Ungarn hat leider viele beunruhigende Hinweise bestätigt": Haushaltskontrolleure der EU ziehen ein ernüchterndes Fazit ihrer Erkenntnisse aus Budapest.

"Tricksen, Täuschen, Tarnen": Ungarns Milliarden aus Brüssel in weiter Ferne

Notiert in Brüssel

Tricksen, Täuschen, Tarnen

Von Stefan Reccius

Mit dem Flugzeug ist die Distanz zwischen Brüssel und Budapest in gerade einmal zwei Stunden zu überwinden. Politisch liegen die Hauptstädte Welten auseinander. Diese Erfahrung hat eine Delegation aus dem Europaparlament gemacht. Im Mai sammelten sechs Abgeordnete verschiedener Fraktionen Eindrücke in Ungarns Hauptstadt. In Brüssel haben sie nun ihren Abschlussbericht vorgestellt und fällen darin ein vernichtendes Urteil.

"Unsere Reise nach Ungarn hat leider viele beunruhigende Hinweise bestätigt", konstatiert Monika Hohlmeier. Die CSU-Politikerin ist Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses im EU-Parlament und leitete die Delegationsreise nach Budapest. Ihr Fazit: "Die ungarische Regierung muss endlich zu den europäischen Rechtsstaatlichkeitsstandards zurückkehren, und das ohne Tricksen, Täuschen und Tarnen, damit die ungarische Bevölkerung endlich von EU-Geldern profitieren kann."

EU-Milliarden für Ungarn gesperrt

Dazu muss man wissen: Ungarn kommt seit Monaten nicht an mehrere Milliarden Euro, die dem Land aus EU-Fördertöpfen zustehen. Eigentlich. Denn EU-interne Sanktionen wegen mangelhafter Rechtsstaatlichkeit verhindern die Auszahlung. Es ist das erste Mal überhaupt, dass Brüssel Ernst macht mit dem Stopp von EU-Geldern.

"Wer die Demokratie untergräbt, wird finanziell abgestraft", tönte EU-Vizepräsidentin Katharina Barley im Dezember 2022. Da hatten die EU-Staaten gerade den historischen Beschluss gefasst, auf Betreiben der EU-Kommission die Milliarden für Ungarn einzufrieren. An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert, und Barley hatte so eine Vorahnung: "Wir dürfen uns jetzt nicht der Illusion hingeben, dass damit die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn wiederhergestellt ist." Ungarns Präsident Viktor Orbán sei nicht zu trauen.

Durch den Bericht der EU-Haushaltskontrolleure werden Barley und andere Kritiker sich bestätigt fühlen. Auf 47 Seiten hat die Reisegruppe ihre Erkenntnisse zusammengetragen. Sie stammen aus Gesprächen mit Mitgliedern der ungarischen Nationalversammlung, dem Minister für regionale Entwicklung, dem Staatssekretär für EU-Angelegenheiten, dem Präsidenten des Staatlichen Rechnungshofs, mit Investigativjournalisten, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen.

Die Erkenntnisse lassen im Prinzip nur eine Schlussfolgerung zu: Würden die Milliarden an Ungarn freigegeben, drohten sie unkontrolliert zu versickern. Die Liste an Missständen ist lang, wie Reiseleiterin Hohlmeier bilanziert: Dutzende Firmen seien das Ziel diskriminierender Entscheidungen und Einschüchterungen. Die Palette der Zumutungen umfasst demnach Sondersteuern, willkürliche Gesetzesänderungen über Nacht, exzessive Kontrollen, Marktmanipulationen über Preise und sogar Besuche der Geheimpolizei.

"Gleichzeitig häufen sich die Berichte, wonach öffentliche Ausschreibungen nur wenigen der Regierung nahestehenden Personen zugutekommen", führt Hohlmeier aus. Eine parlamentarische Kontrolle der Staatsfinanzen finde quasi nicht statt: "Allein 2022 wurde der Haushalt 95-mal am Parlament vorbei geändert." Lediglich im Kampf gegen Korruption gebe es den einen oder anderen Lichtblick – dürftig.

Orbáns Rache

Querelen mit Ungarn gehören in Brüssel inzwischen zur Folklore – ebenso wie Diskussionen über weiterreichende Konsequenzen. Verworfen sind Überlegungen, Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2024 zu entziehen. Ernsthafter diskutiert wird eine stärkere Abkehr vom Prinzip der Einstimmigkeit, etwa in der Außenpolitik. Denn Ungarn rächt sich regelmäßig mit der Blockade wichtiger Beschlüsse, etwa zu Sanktionen gegen Russland.

Und die Freigabe der gesperrten Milliarden aus diversen EU-Fördertöpfen? Die dürfte durch den Bericht der Budapester Reisegruppe aus dem Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments kaum nähergerückt sein.

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