Bullshit-Debatte in der Koalition

Ungebremster Zuwachs bei Sozialausgaben

In der Debatte über einen bezahlbaren Sozialstaat ist die schwarz-rote Koalition auf dem Weg, sich zu verhaken. Kanzler Friederich Merz (CDU) will die Kosten durch Sozialreformen senken. Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) hält dagegen. Dabei wächst der Sozialstaat seit Jahrzehnten enorm.

Ungebremster Zuwachs bei Sozialausgaben

Ungebremster Zuwachs bei Sozialausgaben

Fast ein Drittel der deutschen Wertschöpfung fließt inzwischen in das Sozialbudget – Bullshit-Debatte in der Koalition

In der Debatte über einen bezahlbaren Sozialstaat ist die schwarz-rote Koalition auf dem Weg, sich zu verhaken. Kanzler Friederich Merz (CDU) will die Kosten durch Sozialreformen senken. Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) hält dagegen. Dabei wächst der Sozialstaat seit Jahrzehnten enorm.

Von Angela Wefers, Berlin

Mit einem knackigen „Bullshit“ reagiert Bundesozialministerin Bärbel Bas (SPD) auf die Sparansagen der Koalitionspartner CDU und CSU in den Sozialsystemen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte konstatiert: „Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse.“ Deshalb will er etwa beim Bürgergeld sparen. Auch CSU-Chef Markus Söder hält den aktuellen Sozialstaat für ungerecht und fordert Einschnitte.

„Bas unterstreicht Zusammenhalt“

Der Kraftausdruck fiel in einer Landeskonferenz der SPD-Nachwuchsorganisation, der Jusos, in Nordrhein-Westfalen. Dies mag die saloppe Ausdrucksweise von Bas beflügelt haben, die sich bereits dafür entschuldigte, noch bevor sie das Wort ausgesprochen hatte. Bas hält die aktuelle Debatte für überzogen, dass sich Deutschland die sozialen Sicherungssysteme und den Sozialstaat nicht mehr leisten könne. Der Sozialstaat trage vielmehr zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei.

Tatsächlich dürfte weder die Union den Sozialstaat abschaffen wollen, noch stemmt sich Bas gegen Reformen in der Sozialsystemen für Gesundheit, Pflege und Rente. Es geht aber um das rechte Maß. Baas will aber das Erreichte verteidigen – und damit auf einem historisch hohen Niveau für Deutschland und einem EU-weit überdurchschnittlichen Wert konservieren.

Nie wieder zurückgefallen

Die Sozialstaatsquote ist seit der Wiedervereinigung Deutschlands von damals 24% sukzessive gestiegen. Auch in wirtschaftlich guten Zeiten mit Spitzen-Steueraufkommen ist sie nicht auf das ursprüngliche Niveau zurückgefallen. Vielmehr wurden Ausgaben für Investitionen und Verteidigung verdrängt. Die Summer aller Sozialausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) nähert sich nach Schätzung der Stiftung Marktwirtschaft und des Forschungszentrums Generationenverträge (Universität Freiburg) der Marke von 32%. Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen sprach von der bislang höchste Quote in Deutschland – den temporären Peak durch Corona ausgeklammert. 2023 lag die Quote noch bei etwas mehr als 30% und schon damals um zwei Prozentpunkte über dem Durchschnitt aller EU-Mitgliedsstaaten. Darauf hatte die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ hingewiesen.

Zwischen dem Niveau von 1990 und heute liegen knapp 8 BIP-Punkte. Dies entspricht auf aktueller BIP-Basis einer Größenordnung von fast 35 Mrd. Euro, die der Staat im Jahr zusätzlich für Soziales ausgibt. Die Haushalts-Probleme von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) wären gelöst, wenn das 1990er Niveau wieder erreicht würde. Auch 1990 war Deutschland Raffelhüschen zufolge ein Sozialstaat.

Alarm schlug Anfang Juli auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium. Die Forscher schrieben der Ministerin, im Koalitionsvertrag fänden sich kaum Ansätze für Reformen, um der „problematischen Beitragssatzentwicklung“ in den Sozialsystemen Einhalt zu gebieten. Im Gegenteil gebe es noch zahlreiche Absichtserklärungen für Leistungsausweitungen. Dies bedrohe Potenzialwachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen. Schließlich müssten steigende Sozialleistungen aus Wirtschaftswachstum finanziert werden, mahnen sie.