NOTIERT IN WASHINGTON

Ungewohnt machtlos

Wer lange genug in der US-Hauptstadt gelebt hat, kennt es aus der eigenen Schulzeit: Diplomatensöhne geben immer wieder damit an, wie viele Strafzettel ihre Väter wegen überhöhter Geschwindigkeit und anderer Verkehrsvergehen gesammelt haben. Diese...

Ungewohnt machtlos

Wer lange genug in der US-Hauptstadt gelebt hat, kennt es aus der eigenen Schulzeit: Diplomatensöhne geben immer wieder damit an, wie viele Strafzettel ihre Väter wegen überhöhter Geschwindigkeit und anderer Verkehrsvergehen gesammelt haben. Diese könnten sie aber wegen ihrer Immunität ignorieren und beim nächsten Mal in der vom Steuerzahler finanzierten deutschen Luxuskarosse das Gaspedal noch stärker durchtreten. In den achtziger Jahren waren russische Entsandte die größten Verkehrssünder, während deutsche Diplomaten ebenfalls regelmäßig einen der Spitzenränge belegten.Mittlerweile haben die Botschaften ihre Mitarbeiter zu mehr Disziplin im Straßenverkehr erzogen. Dafür hapert es aber auf einem anderen Gebiet – der extraterritoriale rechtliche Status, den Botschaften und die Residenzen ihrer höchsten Vertreter sowie andere staatliche Gebäude genießen, steht dabei aber weiter im Mittelpunkt. Vielfach vernachlässigen die Regierungen ihre eigenen Grundstücke, die größtenteils in den feinsten und teuersten Gegenden Washingtons liegen. Nachbarn, unter ihnen Konzernlenker, mächtige Lobbyisten und andere wohlhabende Bürger, sind hier völlig machtlos.In dem Nobelbezirk Kalorama, in dem unter anderem Ex-Präsident Barack Obama, Präsident Donald Trumps Tochter Ivanka und US-Außenminister Rex Tillerson mit ihren Familien residieren, gibt es mehrere Beispiele. Ein vierstöckiges Ziegelsteinhaus etwa, welches der argentinischen Regierung gehört, ist komplett verwahrlost und heruntergekommen. Nachbarn klagen über zerschlagene Fenster und Teile des Dachs, die abbröckeln und auf den Bürgersteig fallen. Auch nehmen sie Anstoß an Mäusen und Ratten, die auf Grundstücksgrenzen keine Rücksicht nehmen. Immer häufiger seien auch Drogenhändler sowie Zuhälter zu sehen, die in den leerstehenden Bauten ihrem Gewerbe nachgehen.Zu den Sündern zählen neben Argentinien auch Serbien, Kamerun, Pakistan, Iran und Sri Lanka. Alle besitzen in den besten Bezirken Washingtons teure Liegenschaften, um die sich der Staat seit Jahren nicht mehr kümmert. Das Gras ist teilweise mehr als einen halben Meter hoch. Viele Nachbarn befürchten, dass dort Schlangen und Ungeziefer aus dem nahe gelegenen Rock Creek Park ein neues Zuhause gefunden haben und jederzeit Ausflüge in ihre perfekt gepflegten Gärten machen könnten. Zuständig für die Behebung der Missstände wäre ausgerechnet Tillersons Ressort. Dessen Möglichkeiten sind aber begrenzt. Das Außenministerium “nimmt die Anliegen und Sorgen der Nachbarn sehr ernst”, hieß es in einer ebenso vorsichtigen wie nichtssagenden Stellungnahme. Darauf folgte nämlich prompt der Hinweis, dass Grundstücke, die anderen Staaten gehören, juristisch unantastbar seien und schließlich Immobilien der US-Regierung, die sich auf ausländischem Staatsgebiet befinden, dieselbe Immunität genössen.Auch der Washingtoner Stadtverwaltung sind die Hände gebunden. Bei jedem anderen Grundstück könnte man den Rasen mähen und Zäune errichten lassen – um dann den Eigentümern Rechnungen zu schicken und sie auf diesem Wege zu motivieren, ihre Gebäude instand zu halten. “Es handelt sich aber faktisch um ausländisches Staatsgebiet, wir haben keine Kompetenzen und sind nur auf die Gewissenhaftigkeit der jeweiligen Regierung angewiesen”, erklärt Jack Ward, der im Stadtrat von Washington sitzt. Dort vertritt er den 2. Gemeindebezirk, der auch das besonders stark betroffene Viertel Kalorama umfasst.Gleichwohl wollen sich einige Kommunalpolitiker nicht so leicht geschlagen geben. Mitglieder des Stadtrats haben sich zusammen mit Eleanor Holmes Norton, einer der drei Delegierten der Hauptstadt im US-Kongress, mit einem Protestbrief an das Außenministerium gewandt. In diesem verlangt Norton unter anderem ein Treffen mit Tillerson. Die heruntergekommen Gebäude seien “eine Blamage für die Stadt, für das Außenministerium und vor allem für die USA”, hieß es in dem Schreiben. Der Wunsch nach einem Treffen mit Tillerson wurde abgeschlagen. Immerhin haben zwischenzeitlich aber einige der fraglichen Regierungen versprochen, in den kommenden Monaten mit Aufräumungs- und Renovierungsarbeiten zu beginnen.