BREXIT

Unter Schweiß und Tränen

Da war denn doch etwas viel Zweckoptimismus im Spiel: Als sich gestern Mittag die britische Premierministerin Theresa May und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker trafen, um sich in zentralen Streitpunkten so weit aufeinander zuzubewegen, dass die...

Unter Schweiß und Tränen

Da war denn doch etwas viel Zweckoptimismus im Spiel: Als sich gestern Mittag die britische Premierministerin Theresa May und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker trafen, um sich in zentralen Streitpunkten so weit aufeinander zuzubewegen, dass die nächste Phase der Brexit-Verhandlungen eingeläutet werden kann, nahmen einige EU-Abgeordnete und EU-Diplomaten bereits das Wort “Durchbruch” in den Mund. Das erwies sich spätestens vier Stunden später als voreilig, wenn nicht gar als irreführend. Da nämlich stellte Juncker klar, dass es nicht möglich war, “eine vollständige Einigung” zu erzielen.Dass London und Brüssel schon in Stufe eins der Brexit-Vorbereitungen in Verlängerung gehen, kann eigentlich nicht überraschen. Schließlich liegen die Positionen, die zusammengeführt werden müssen, weit auseinander. Noch am einfachsten scheint der Kompromiss über die Abschlussrechnung für die Briten. Denn das ist letztlich nur ein Geschacher um Milliarden. Politisch anspruchsvoller ist die Klärung der Garantien für in Großbritannien lebende EU-Bürger und insbesondere die Verständigung über die Rechtslage an der irisch-nordirischen Grenze. Gestern bekam man einen Vorgeschmack, dass jeder noch so kleine Schritt hin zu einer Konkretisierung allergische Reaktionen auslöst – sei es bei der probritischen Nordirland-Partei, die im Unterhaus immerhin Mays Regierung stützt, sei es in Schottland oder in der City of London, wo jedwede Sonderregeln von der Forderung begleitet werden, davon ebenfalls Gebrauch machen zu können.Nein, es war politisch naiv zu glauben, dass May und Juncker bei einer Tasse Nachmittagstee Kompromisse in Streitpunkten finden könnten, die als schicksalsschwer empfunden werden. Solche Verständigungen kommen erfahrungsgemäß erst nach Extrarunden unter Schweiß und Tränen zustande, wenn alle Beteiligten glaubhaft versichern können, bis zur Erschöpfung gekämpft zu haben. Und übrigens: Selbst wenn dies in den nächsten Tagen gelingt, stehen die Verhandlungen noch am Anfang. Die “hinreichenden Fortschritte”, um die gerungen wird, erlauben ja lediglich den Einstieg in Gespräche über das künftige Verhältnis. In anderen Worten: Dann geht’s erst richtig los.Trotzdem ist die Botschaft von gestern unterm Strich positiv. Denn es manifestiert sich der Eindruck, dass beide Seiten endlich anfangen, ernsthaft miteinander und nicht bloß übereinander zu reden. Und dass beide Seiten begriffen haben, dass es – will man tatsächlich einen Deal haben – allerhöchste Eisenbahn ist.