US-Steuerpaket mit großen Mängeln
US-Steuerpaket mit großen Mängeln
Gesetz dürfte Investoren abschrecken, die Staatsverschuldung weiter hochtreiben und das Wohlstandsgefälle vergrößern
Von Peter De Thier, Washington
Als Deadline hat sich US-Präsident Donald Trump den „Independence Day“ am 4. Juli gesetzt. Kommende Woche Freitag werden die USA ihr 249-jähriges Bestehen zelebrieren. Bis dahin will Trump sein „großes, wunderschönes Gesetz“ – den „One Big, Beautiful Bill Act“ (OBBBA) – unter Dach und Fach haben. Eines der umfangreichsten Steuerpakete der letzten 50 Jahre würde nicht nur die Staatsverschuldung auf einen neuen Rekordstand treiben. Weitgehend einig sind sich Experten auch darüber, dass das 1.000 Seiten umfassende Werk das Einkommens- und Wohlstandsgefälle vertiefen würde.
Warm anziehen müssen sich aber auch ausländische Investoren in den USA. Der umstrittene Paragraf 899 sieht vor, dass die Bundesfinanzbehörde IRS Anleger aus Staaten, die eine „diskriminierende Steuerpolitik“ verfolgen, künftig zur Kasse bittet. Das könnte nicht nur Folgen für Unternehmen, institutionelle Investoren und auch Einzelanleger haben. Zudem könnten die Republikaner mit dem Gesetz der eigenen Wirtschaft immensen Schaden zufügen. Die „Straf-Steuern“ könnten nämlich ausländische Investoren in die Flucht schlagen.
Kernpunkt des OBBBA ist eine Verlängerung der Steuererleichterungen aus Trumps erster Amtszeit. Die meisten Nachlässe, darunter auch niedrigere Einkommenssteuersätze, würden nämlich nach geltender Rechtslage dieses Jahr auslaufen. Auch enthält das Gesetz neue Vergünstigungen für Unternehmen und private Haushalte. Diese könnten künftig einen größeren Anteil der lokalen Steuern, die sie zahlen, von Verpflichtungen gegenüber der IRS absetzen dürften.
Permanente Steuersenkungen
Zudem will Trump wichtige Wahlversprechen einlösen. Bei Personen, die im Gastgewerbe tätig sind, sollen nämlich in Zukunft weder Trinkgelder noch Überstunden besteuert werden. Leidtragende wären wie schon unter Trumps erster Runde von Steuersenkungen ärmere US-Bürger. Denn bei Medicaid, der gesetzlichen Krankenversicherung für Bezieher niedriger Einkommen, wollen die Republikaner umfassende Kürzungen durchsetzen.
Zwar ist keineswegs gewiss, dass Trumps Parteifreunde seine ehrgeizige Frist werden einhalten können. Gegen Ende Mai hatte das Repräsentantenhaus den OBBBA mit einer hauchdünnen Mehrheit von 215 zu 214 Stimmen gebilligt. Größerer Widerstand regt sich aber im Senat, vor allem gegen die geplanten Streichungen bei Medicaid. Die Kürzungen bei einem Programm, das 78 Millionen Amerikaner benötigen, um ihre Krankenversorgung zu finanzieren, könnte nämlich mehrere Republikaner in der oberen Kongresskammer die Wiederwahl kosten.
Tiefere Kluft
Unterdessen steht Ökonomen zufolge fest, dass der OBBBA – selbst in abgeschwächter Form – eine noch tiefere Kluft zwischen den Wohlhabendsten und den Ärmsten aufreißen wird. Das Congressional Budget Office (CBO) hat in einer verteilungspolitischen Analyse errechnet, dass niedrigere Steuersätze und höhere Freibeträge dazu führen werden, dass die Netto-Gehälter der oberen 10% der Einkommensbezieher um 2,3% steigen werden. Die unteren 10% werden bei ihren Netto-Bezügen hingegen Einbußen von 3,9% hinnehmen müssen.
„Ich habe nie ein Gesetz gesehen, das so konsequent die Ärmsten ausbeutet und gleichzeitig noch mehr Geld auf die Konten der Superreichen spült“, sagt Chuck Marr, Vizepräsident des „Center on Budget and Policy Priorities“. Andere sprechen von dem „regressivsten Steuergesetz in der amerikanischen Geschichte“. Ganz anders schätzt der Nationalökonom Stephen Miran, Chef von Trumps Council of Economic Advisers (CEA), die Lage ein. „Den Ärmeren ist vor allem damit gedient, wenn wir ein Umfeld schaffen, in dem Firmen ihnen Jobs anbieten wollen“. Genau dies hätten Trumps Steuersenkungen vor 8 Jahren erreicht, die laut Miran zu stärkerem Stellenwachstum und höheren Löhnen führten. „Das wird diesmal nicht anders sein“.

Ebenso wie den verteilungspolitischen Effekt versuchen die Republikaner die Folgen des OBBBA für die Verschuldung zu kaschieren. Nach Angaben der Federal Reserve Bank of St. Louis erreichte die Schuldenquote an sämtlichen Zahlungsverpflichtungen des Bundes im ersten Quartal dieses Jahres 121%. Sollte auch der Senat den Gesetzesentwurf absegnen, dann wird die Neuverschuldung nach Schätzungen des Committee for a Responsible Federal Budget in den nächsten 10 Jahren die Neuverschuldung um weitere 3 Bill. Dollar erhöhen. Verleiht die obere Kammer zudem den Steuersenkungen aus dem Jahr 2017 permanente Rechtskraft, dann würde die Neuverschuldung sogar um 5 Bill. Dollar steigen.
Deutschland im Fadenkreuz
Wenig Beachtung findet hingegen in den USA ein Teil des Gesetzes, das bei ausländischen Investoren die Alarmglocken schrillen lässt, nämlich Paragraf 899. Die „ratio legis“ hinter dem Passus ist der Gedanke, dass der Fiskus Staaten, deren Steuergesetze US-Firmen benachteiligen, Strafen auferlegen sollte. Offenkundig zielt der Paragraf darauf, europäische Länder mit Digitalsteuern zur Kasse zu bitten. Die Republikaner haben aber auch Deutschland wegen des Mehrwertsteuersatzes von 19% im Visier.
Die Quellensteuer würde weitere 5% von Dividenden, Zinsen und anderen Kapitalerträgen von Investoren aus Staaten abschöpfen, die als „diskriminierend“ eingestuft werden. Innerhalb von vier Jahren könnte die Abgabe um 5% jährlich auf 20% angehoben werden. Betroffen wären nicht nur Kapitalanleger, die US-Staatsanleihen oder Aktien von US-Unternehmen halten.
Dax-Konzerne unter den Opfern
Auch Unternehmen mit Beteiligungen in den Vereingten Staaten müssten draufzahlen. Spüren könnten das neben Dax-Konzernen wie Siemens, Infineon, Daimler und anderen Autobauern auch hunderte von mittelständischen Betrieben, die in den USA fertigen oder dort Vertriebsunternehmen haben.
Deren Direktinvestitionen in den USA betragen nach Angaben des Representative of German Industry and Trade (RGIT) in Washington 658 Mrd. Dollar. Ulrich Leuchtmann, Head of FX Research bei der Commerzbank, bezeichnet Paragraf 899 als „ersten Schritt, ausländisches Kapital in Geiselhaft zu nehmen“.
Kapitalflucht aus den USA
Andere Experten vertreten die Auffassung, dass die Steuer eine Kapitalflucht aus den USA auslösen könnte. Die Folge wäre nicht nur ein weiterer Kursverfall des Dollar, sondern geringere Nachfrage nach US-Treasuries, deren Renditen steigen würden. Nicht auszuschließen wäre, dass abtrünnige, ausländische Investoren die USA sogar in die nächste Finanzkrise stürzen.
Präzisieren lassen sich die Folgen der umstrittenen Passage nicht. Deswegen, weil unklar ist, ob der Senat Paragraf 899 übernehmen wird. Seit der Verabschiedung durch das Repräsentantenhaus hat der Senat schon mehrere Änderungen vorgenommen. Zu erwarten ist, dass es zu erheblichen Modifikationen kommt oder der Passus ganz verschwindet, ehe Trumps „wunderschönes“ Gesetz Rechtskraft erlangt.
US-Präsident Donald Trump will bis zum 4. Juli sein „großes, wunderschönes“ Haushaltsgesetz durch den Kongress peitschen. Das Gesetz in dieser Form würde nicht nur ausländische Investoren abschrecken. Es hätte auch für die ohnehin angespannte fiskalische Lage des Landes negative Konsequenzen.