Viel Geld für Reformen
Es sieht so aus, als seien die goldenen Zeiten vorbei. Jedes Jahr zwei Mal – im Mai und November – gehen die Steuerschätzer in Klausur und beraten, wie die Einnahmen des Staates in den nächsten Jahren aussehen werden. Jede einzelne Steuerart wird dabei unter die Lupe genommen. In den vergangenen Jahren hatten die Schätzer stets positive Überraschungen für Bund, Länder und Gemeinden parat. Konjunktur und Arbeitsmarkt sind in guter Verfassung. Die Unternehmen machen Gewinn. Deshalb hatten die Schätzer die Prognose stets nach oben korrigiert. Finanzminister und Kämmerer verfügten damit nicht nur über mehr Geld als im Jahr zuvor, sondern vor allem auch über mehr, als sie eingeplant hatten: Für manche war es Spielgeld. Andere konnten damit Löcher stopfen oder Reserven aufbauen – wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) für die unerwarteten Kosten der Flüchtlingskrise. *Diesmal reichen die guten Nachrichten nur bis 2018. Für die Jahre danach haben die Schätzer ihre Prognose bis 2021 leicht nach unten korrigiert. Die Ursache liegt fast ausschließlich in sogenannten Schätzabweichungen und nicht in Steuerrechtsänderungen. Gesetzesänderungen werden von ihnen erst aufgenommen, wenn sie von Bundestag und Bundesrat beschlossen sind. So ist die Mini-Steuerreform von 6,3 Mrd. Euro 2017 und 2018 mit der Erhöhung der Grundfreibeträge sowie dem Abbau der kalten Progression zur Inflationsbereinigung nicht in der Schätzung enthalten. Dies wird die Einnahmen in beiden Jahren noch leicht dämpfen. Auch die Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs von 2020 an, die den Ländern zulasten des Bundes mehr Einnahmen verschafft, sowie die Hilfen des Bundes an die Länder in Sachen Flüchtlingskrise sind nicht dabei. Fakt ist aber, dass trotz gedämpftem Ausblick die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden in jedem Jahr um 25 bis 30 Mrd. Euro steigen und 2021 schwindelerregende 835 Mrd. Euro erreichen werden.Neue Perspektiven bringt die Bundestagswahl 2017. Die Wahlversprechen der Parteien gewinnen Kontur und die gute Einnahmesituation lässt Spieleraum für Steuersenkungen. So will die Führungsspitze der Union die Einkommensteuerzahler nach 2017 um rund 15 Mrd. Euro entlasten. Der Wirtschaftsflügel träumt sogar von 30 Mrd. Euro. Auch der einstmals mit der Wiedervereinigung befristet eingeführte Soli soll nach Unionswillen schrittweise abgebaut werden. Der Sachverständigenrat für Wirtschaft hat seine Forderung nach einer finanzierungsneutralen Unternehmensbesteuerung erneuert, die nicht mehr Fremd- gegenüber Eigenkapital begünstigt. Die Erbschaftsteuer solle auf eine breite Bemessungsgrundlage gestellt werden – dies bei niedrigen Steuersätzen. Auch die deutsche Industrie fordert eine Steuerstrukturreform. Wer könnten es ihr verdenken? Die Steuersenkung aus der Unternehmenssteuerreform 2008 ist längst aufgeholt.