NOTIERT IN TOKIO

Von wegen teuer

Gerade hat die britische "Economist Intelligence Unit" die japanische Metropole Osaka - zusammen mit Singapur und Hongkong - zur teuersten Stadt der Welt gekürt. Die Hauptstadt Tokio schaffte es immerhin auf Rang 8 in der jährlichen Liste, für die...

Von wegen teuer

Gerade hat die britische “Economist Intelligence Unit” die japanische Metropole Osaka – zusammen mit Singapur und Hongkong – zur teuersten Stadt der Welt gekürt. Die Hauptstadt Tokio schaffte es immerhin auf Rang 8 in der jährlichen Liste, für die jeweils 400 Einzelpreise von 160 Waren und Dienstleistungen verglichen werden. Bei einigen Preisen wundere ich mich jedoch, wo die britischen Statistiker einkaufen waren. Nach ihren Daten kostet ein Laib Brot (1 Kilogramm) in Tokio 7,41 Dollar und in Osaka 5,63 Dollar. Aber ich kenne keine Bäckerei, die solche “Riesenbrote” backt, und keinen Japaner, der 1 Kilogramm Brot kaufen würde. Man isst hier fluffiges Weißbrot in kleinen Mengen – acht Scheiben davon kosten in meinem Supermarkt 1,50 Euro.Ein weiteres Beispiel für einen verzerrten Preis liefert das Flaschenbier (0,33 Liter), das in Tokio laut dem “Economist”-Bericht im Schnitt 2,47 Dollar kostet. Normale Landesbewohner kaufen jedoch Bier in der Dose für nur 1 Euro. Es enthält extra wenig Hopfen, weil diese Bierzutat hoch besteuert wird, aber das Gebräu ist durchaus genießbar. Dagegen kommt Bier in Flaschen entweder aus dem Ausland oder geriert sich als Craftbier, was den Endpreis hochtreibt.Und noch ein Beispiel: In Tokio muss man laut dem “Economist”-Bericht für einen zweiteiligen Herrenanzug 961 Dollar auf den Tisch legen. Das scheint mir ähnlich unrealistisch wie der Bier- und Brotpreis zu sein. Westliche Ausländer kaufen hier sowieso keine Anzüge, weil Farben und Schnitte altmodisch und die Hosenbeine immer zu kurz sind.Natürlich erzählt jeder Expatriate-Manager in seinem Unternehmen zu Hause von horrenden Mieten, teuren Parkplätzen und hohen Schulgebühren in Japan, um einen ordentlichen Gehaltszuschuss zu erhalten. Ihre Schilderungen sind nicht falsch, aber irreführend: Japaner mieten kleinere Wohnungen als Deutsche, kommen (aufgrund guter Bahnverbindungen) ohne Auto aus und schicken ihre Kinder auf kostenlose öffentliche Schulen. Also aufgepasst in den Personalabteilungen: Japan ist viel preisgünstiger, als entsandte Mitarbeiter es behaupten, da hier seit 20 Jahren Deflation herrscht. Das bedeutet: Die Preise blieben eingefroren, während im Rest der Welt die Inflation galoppierte.Das Glas Bier (ca. 0,3 Liter) kostete in diesem Jahrtausend stets rund 500 Yen (4,20 Euro), und ein gutes und leckeres Drei-Gang-Menü zum Lunch servieren die meisten Restaurants in den Geschäftsvierteln schon für unter 10 Euro. Oder nehmen wir einen Besuch des Freizeitparks Tokyo Disneyland: Den Tageseintritt für Erwachsene gibt es ab 63 Euro, weit günstiger als Disneyland in Paris oder Florida. Auch das Preisniveau für Zimmer in Luxushotels liegt an beliebten Touristenorten deutlich unter den Angeboten in Weltstädten wie London oder New York.Die Unterschiede setzen sich bis in Kleinigkeiten fort: Die Jahresmitgliedschaft für Amazon Prime beträgt in Japan rund 40 Euro und damit weniger als halb so viel wie in Deutschland. Der Vergleich für den Big Mac von McDonald’s ergibt, dass Japan in Dollar gerechnet rund ein Fünftel billiger ist als Deutschland. Die Niedrigpreise erklären auch, warum Japan zum Reiseziel für zahllose Inder, Thailänder und Vietnamesen geworden ist, die sich den Aufenthalt trotz kleinerer Einkommen problemlos leisten können. *Viele Ökonomen verweisen auf die ultralockere Geldpolitik der Bank of Japan, durch die der Yen künstlich abgewertet wird. Notenbankchef Haruhiko Kuroda kommt dem Kern der Sache schon näher, wenn er die “deflationäre Mentalität” der Japaner beklagt. Damit beschreibt er die Gewohnheit der Inselbewohner, gezielt Waren zu herabgesetzten Preisen sowie Lock- und Sonderangebote zu kaufen. Die Kehrseite der Medaille: Auch die Lohnentwicklung weist eine deflationäre Tendenz auf. Das heißt, dass Ingenieure und IT-Experten in Japan weniger verdienen als im übrigen Asien, ebenso wie Arbeiter in der Serviceindustrie vom Koch bis zum Kassierer. Diese Tatsache macht Japan für ausländische Arbeitskräfte so unattraktiv, dass die neuen Arbeitsvisa bisher überhaupt nicht nachgefragt werden.