EZB-Sitzung

Was Top-Ökonomen Lagarde & Co. raten

Die EZB-Sitzung am Donnerstag wird mit großer Spannung erwartet – wegen der ersten Zinserhöhung seit elf Jahren und eines neuen Hilfsinstruments für Italien & Co. Vorab hat die Börsen-Zeitung führende Ökonomen befragt.

Was Top-Ökonomen Lagarde & Co. raten

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) heute um 14.15 Uhr – nach einer Umstellung 30 Minuten später als bislang – die geldpolitischen Beschlüsse des EZB-Rats verkündet, wird die Zinswende im Euroraum amtlich sein. Erstmals seit elf Jahren wird das Gremium die Leitzinsen anheben – so viel steht seit der entsprechenden Ankündigung bei der Juni-Sitzung fest. Um 14.45 Uhr – 15 Minuten später als bislang – wird dann EZB-Präsidentin Christine Lagarde im Frankfurter Ostend vor die versammelte Presse und die Kameras treten und die Beschlüsse erläutern – womöglich auch zum neuen „Antifragmentierungsinstrument“, das Italien & Co. helfen soll.

Was die erste Zinserhöhung seit dem Juli 2011 betrifft, hat der EZB-Rat im Juni eine Anhebung um 25 Ba­sispunkte angekündigt. In diese Richtung äußerten sich in der Folge auch die meisten Euro-Notenbanker. Unmittelbar vor der Sitzung jetzt machen aber Meldungen die Runde, dass der EZB-Rat doch auch eine Anhebung um 50 Punkte prüfe. Grund sei das sich verschlechternde Inflationsumfeld, hieß es.

Die Inflation hatte im Juni erneut alle Er­wartungen übertroffen und ein weiteres Rekordhoch erreicht – von 8,6%. Die Teuerung liegt damit mehr als viermal höher als das mittelfristige Inflationsziel der EZB von 2%. Zudem ziehen die Inflationserwartungen an und die Sorge vor einer Lohn-Preis-Spirale wächst.

Beim EZB-Forum im portugiesischen Sintra Ende Juni hatte EZB-Chefin­ Lagarde die Möglichkeit ra­sche­rer Zinserhöhungen betont – falls sich der Inflationsausblick verschlechtern sollte. „Es gibt eindeutig Bedingungen, unter denen Gradualismus nicht angemessen wäre“, sagte Lagarde in Sintra. „Wenn wir beispielsweise eine höhere Inflation feststellen, die die Inflationserwartungen zu entankern droht, oder Anzeichen für einen dauerhaften Verlust des Wirtschaftspotenzials, der die Verfügbarkeit von Ressourcen begrenzt, müssten wir die akkommodierenden Maßnahmen rascher zurücknehmen.“

Mit einer ersten Zinserhöhung um 25 Basispunkte wollte der EZB-Rat erst einmal schauen, wie die Finanzmärkte die Zinswende verdauen. Zudem haben zuletzt Rezessionssorgen zugenommen, insbesondere we­gen des Ukraine-Kriegs. Die Verfechter einer eher lockeren Geldpolitik im EZB-Rat, die „Tauben“, mahnen deshalb zur Vorsicht und bevorzugen kleine Schritte. Chefvolkswirt Philip Lane wird auf der Sitzung den offiziellen Vorschlag unterbreiten.

Das zweite heiße Thema neben der Höhe des Zinsschritts sind mögliche neue Anleihekäufe zur Stützung hoch verschuldeter Länder wie Italien. Bei einer kurzfristig angesetzten Krisensitzung wegen der zuvor stark gestiegenen Euro-Renditen und -Ren­ditespreads hatte der EZB-Rat Mitte Juni angekündigt, „ein neues Antifragmentierungsinstrument“ zu entwickeln. Zu große Zinsdifferenzen sehen viele EZB-Obere als „Fragmentierung“ und damit als Hindernis für die einheitliche Wirkung – Transmission – der Geldpolitik in allen Euro-Ländern. Die italienische Rendite war im Zuge eines breiteren Ausverkaufs bei Euro-Staatsanleihen erstmals seit 2014 über 4% ge­klettert. Der Anstieg der Spreads hatte Erinnerungen an die Euro-Schuldenkrise vor zehn Jahren geweckt.

Das Instrument ist aber keineswegs unumstritten. Bereits im vergangenen Jahr hatten die Euro-Hüter über eine Art vorsorgliches Werkzeug diskutiert, um notfalls gegen ei­nen Ausverkauf von Anleihen schwächerer Euro-Länder vorzugehen. Nun spitzt sich die De­batte erneut zu – und es brechen alte Konfliktlinien neu auf. Zuletzt hatte sich vor allem Bundesbankpräsident Joachim­ Nagel kritisch zu neuen EZB-Anleihekäufen und zu ei­nem entsprechenden neuen In­strument ge­äußert. Er warnte, dass es in Echtzeit kaum möglich sei zu beurteilen, wann ein Risikospread fundamental gerechtfertigt sei und wann nicht. Zudem mahnte er, dass neue Hilfen an Konditionen geknüpft sein müssten, damit es für die Länder weiter einen Anreiz zu Reformen gebe.

Vor der Sitzung hieß es nun, dass EZB-Chefin Lagarde ihre Bemühungen intensiviere, eine rasche Einigung über das neue Instrument zu erzielen. Neben anhaltenden rechtlichen Bedenken ging es vor allem um die Bedingungen, die die Nutznießer der EZB-Anleihekäufe erfüllen müssen. Dazu könne eine solide Finanzpolitik gehören, wobei einige Ratsmitglieder darauf bestünden, die EU-Kommission, den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM oder beide einzubeziehen. Das Ausbleiben einer Einigung über den Transmission Protection Mechanism (TPM), wie der Arbeitstitel lautet, könnte dazu führen, dass Lagarde vorerst nur ein unvollständiges Ergebnis verkünden kann. An den Finanzmärkten könnte ein solches Ergebnis nach verbreiteter Einschätzung zu Enttäuschung führen – nachdem die EZB selbst große Erwartungen geweckt hat.

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