Wirtschaftspolitik

Weichen nach der Pandemie klug stellen

Für den Neustart nach der Pandemie müssen die Weichen bei Steuern und Staatsschulden sowie in der Geldpolitik klug gestellt werden, schreibt Bundestagsabgeordneter Dr. Klaus Wiener im Gastkommentar.

Weichen nach der Pandemie klug stellen

Nach anderthalb Jahren Corona gibt es ungebrochen enorme Risiken für die deutsche wie die weltweite Wirtschaft. Falsche Weichenstellungen jetzt würden den dringend benötigten Neustart nach der Pandemie zusätzlich gefährden. Zu den wesentlichsten gehören höhere Steuern und eine fehlgeleitete – weil zu späte – Normalisierung der Wirtschaftspolitik. Wie sich aktuell zeigt, hält sich die schwierige Pandemielage hartnäckig. Trotzdem gibt es berechtigte Hoffnung, dass sich mit wachsender Immunität und angepassten Impfstoffen im kommenden Jahr die Situation verbessert. Für die Politik – und besonders die Wirtschaftspolitik – gibt es für die kommenden Monaten drei zentrale Handlungsfelder: 

Erstens: Der Neustart nach der Pandemie muss aktiv gestaltet werden. Daran ändern auch die Prognosen führender Wirtschaftsinstitute nichts, die für 2022 mit Zu­wachsraten von zum Teil mehr als 4% für das reale Bruttoinlandsprodukt einen beachtlichen Aufschwung für Deutschland prognostizieren. Über das Trendwachstum, das letztlich Aufschluss darüber gibt, wie sich der Wohlstand eines Landes dauerhaft entwickelt, sagen diese Jahreszahlen nichts aus. Aber genau hier muss jetzt angesetzt werden, denn der Neustart nach der Pandemie wird kein Selbstläufer. Dies liegt an der ungewöhnlichen Länge der Coronakrise. Dies hat bei vielen Menschen und in Unternehmen zu Existenzängsten geführt. Solche intensiven Erfahrungen lassen aus verhaltensökonomischer Sicht nachhaltig verändertes Verhalten erwarten, das z. B. die Ausgabenneigung der privaten Haushalte – und damit das Trendwachstum der Volkswirtschaft ­– in den kommenden Jahren belastet.

Um einer drohenden Kaufzurückhaltung entgegenzuwirken, darf die Ausgabenneigung der privaten Haushalte nicht durch Steuererhöhungen belastet werden. Sorge bereitet deshalb der Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition. Zwar weist dieser keine nennenswerten Steuererhöhungen aus, die hohe Anzahl kostspieliger Versprechen ohne erkennbaren Plan für eine Gegenfinanzierung lässt aber befürchten, dass sich dies schon rasch ändern könnte.

Aber auch die Unternehmen werden genau überlegen, ob sie ihre Investitionszurückhaltung aufgeben. Schon vor der Pandemie gab es erhebliche staatliche Tendenzen zu Protektionismus. Diese wurden durch die Pandemie verstärkt. Mit dem Argument, dass Lieferketten zusammengebrochen sind, könnte es zu einem noch stärkeren Nationalismus und wirtschaftlicher Ab­schottung kommen. Dabei wäre es gerade jetzt wichtig, Lieferketten nicht einseitig zu regionalisieren, sondern global viel stärker zu diversifizieren. Die Voraussetzung hierfür muss die Politik schaffen, etwa indem neue Handelsabkommen geschlossen werden. Mit RCEP wurde in Asien jüngst die größte Freihandelszone der Welt geschaffen. Genau solche Anstrengungen sind auch für Europa in den kommenden Jahren essenziell.

Schuldenstand besorgt

Zweitens: Die Finanzpolitik muss ihren Kurs zügig ändern. Weltweit haben die Regierungen im Zuge der Pandemie fiskalische Impulse von mehr als 10 Bill. Dollar auf den Weg gebracht. Dies entspricht gut 12% des Weltsozialprodukts. Aber so hilfreich und wichtig finanzielle Hilfen in der Krise sind, so wichtig ist es, nach Überwindung der Krise gezielt gegenzusteuern. Werden die zusätzlichen Hilfen zu lange ge­währt und fallen die Staatsausgaben zu umfangreich aus, droht eine Überhitzung. Bestes Beispiel hierfür sind die USA, die mit massiven fiskalischen Impulsen der Biden-Administration in diesem und im nächsten Jahr mit voraussichtlich 6% und 5% wachsen werden.

Problematisch ist aber auch der stetig steigende Schuldenstand, der den fiskalischen Spielraum für mögliche neue Krisen begrenzt und zudem die kommenden Generationen über Gebühr belastet. Bereits heute ist die durchschnittliche Schuldenquote der Industrieländer so hoch wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Und schließlich erkennen die Menschen, dass die Schulden von heute die Steuern von morgen sind. Etliche verhalten sich entsprechend und schränken ihren Konsum bereits heute ein. Bekannt ist dieses Phänomen unter dem Namen Ricardianische Äquivalenz.

Zu lockere Geldpolitik

Drittens: Die Geldpolitik muss den Ausstieg aus der ultralockeren Positionierung in Angriff nehmen. Bereits vor der Pandemie haben wesentliche Notenbanken mit sogenannten unorthodoxen Maßnahmen versucht, die Inflation in Richtung der Zielmarken zu bringen. So wie es derzeit aussieht, sind sie sehr „erfolgreich“. In den USA und in Deutschland ist die Verbraucherpreisinflation mit 6,2% bzw. 5,2% auf ein 30-Jahres-Hoch gestiegen. Nun streiten sich Notenbanker und Volkswirte, ob dieser Anstieg temporär oder dauerhaft ist.

Für die erste These sprechen Sondereffekte wie der Anstieg der Mehrwertsteuer in Deutschland zu Jahresbeginn oder die vermutlich vorübergehenden Lieferkettenprobleme im Zuge des Anspringens der weltweiten Konjunktur, in deren Folge die Preise für viele Vor- und Zwischenprodukte sprunghaft gestiegen sind. Andererseits könnten sich einige der Inflationstreiber aber durchaus auch als dauerhaft erweisen. Dies gilt vor allem für die Energiepreise. Mit dem weltweiten Versuch, den Klimawandel über den CO2-Preis zu bekämpfen, werden fossile Brennstoffe teuer und die Alternativen relativ knapper – und damit auch teurer.  

Dies spricht dafür, dass die Phase sehr niedriger Inflationsraten hinter uns liegt. Um Preisstabilität dau­erhaft zu gewährleisten, braucht es einen vorausschauenden Ansatz. An­gesichts der Geldflut, die auch von der Europäischen Zentralbank auf den Weg gebracht wurde und nach wie vor im Wirtschaftssystem schlummert, muss von der Geldpolitik – ähnlich wie von der Fi­nanz­politik – eine klare Ausstiegsstrategie formuliert werden. Dazu gehört ein rasches Ende der massiven Geldinjektionen ebenso wie die Abschaffung des negativen Einlagenzinses. Von der amerikanischen Notenbank gib es bereits deutliche Signale für eine weniger expansive Ausrichtung ihrer Politik. Es wäre gut, wenn die EZB hier rasch folgen würde.

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