Hohe Staatsverschuldung lässt Notenbanker abschweifen
Hohe Staatsverschuldung lässt Notenbanker abschweifen
Studie des ZEW untersucht Reden der EZB-Ratsmitglieder – Korrelation zwischen Haushaltslage und Themenwahl
mpi Frankfurt
Von Martin Pirkl, Frankfurt
EZB-Ratsmitglieder aus Ländern mit einer vergleichsweise hohen Staatsverschuldung sprechen in ihren Reden häufiger über andere Dinge als Preisstabilität. Dies geht aus vorläufigen Ergebnissen einer noch nicht veröffentlichten Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hervor, die der Börsen-Zeitung vorliegt. Die Ökonomen werteten mithilfe eines Large Language Models (LLM) rund 4.600 Reden von EZB-Ratsmitgliedern von der Gründung der Institution bis zum Jahr 2024 aus.
Dabei stellten sie eine Korrelation fest zwischen der Höhe der Staatsverschuldung des Landes, aus dem der Notenbanker stammt und der Neigung, über sekundäre Ziele der EZB zu sprechen. Das primäre Mandat der Europäischen Zentralbank ist die Wahrung der Preisstabilität. Dies sieht die Notenbank bei einer mittelfristigen Inflation von 2% als gegeben an. Sofern es diesem Mandat nicht widerspricht, soll die EZB laut EU-Vertrag zudem auch die „allgemeine Wirtschaftspolitik“ der EU unterstützen.
Klimaschutz verliert an Relevanz
Was genau darunter zu verstehen ist, ist ein Stück weit auch Auslegungssache der EZB. So sieht sich die Notenbank inzwischen etwa in der Verantwortung, auch den Klimaschutz und die grüne Transformation der Wirtschaft mit ihren Handlungen voranzutreiben, solange dies nicht die Erreichung der Preisstabilität behindert. Dieser Ansatz ist nicht unumstritten, selbst unter Notenbankern. „Wenn der Eindruck entstünde, die EZB interessiere sich mehr für Klimapolitik oder andere politische Ziele als für stabiles Geld, hätte das negative Auswirkungen auf die Verankerung der Inflationserwartungen“, sagte etwa der ehemalige Bundesbankpräsident Jens Weidmann in einem Interview der Börsen-Zeitung.
Für manche Kritiker war dieser Punkt in der Vergangenheit bereits erreicht. Die ZEW-Auswertung der EZB-Reden untermauert zumindest, dass in vielen öffentlichen Äußerungen das Thema Klimawandel mittlerweile vorkommt. Allerdings wurde der Höhepunkt während der Pandemie erreicht. Preis- sowie Finanzstabilität waren außerdem jederzeit präsenter in der Gesamtheit der Reden als der Klimaschutz.

Trend schwächt sich ab
Auffällig ist des Weiteren, dass das Thema Staatsverschuldung in den Reden der EZB-Ratsmitglieder seit dem Ende der Eurokrise fast kontinuierlich Jahr für Jahr seltener vorkommt. Im Gegenzug wird öfter über Ungleichheit gesprochen. Wobei es auch hier zuletzt einen abnehmenden Trend gab. Dass die Notenbanker seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine 2022 seltener über Klimaschutz sowie Ungleichheit sprechen, könnte daran liegen, dass die Inflation im Zuge dessen deutlich angestiegen ist und erst seit relativ kurzer Zeit wieder um das Inflationsziel von 2% pendelt.
Korrelation auch Kausalität?
Die ZEW-Studienautoren machen zudem eine Korrelation zwischen der Höhe der Staatsverschuldung eines Landes und der geldpolitischen Haltung des Notenbankpräsidenten aus. Die Zentralbankchefs aus Euro-Staaten mit einer hohen Verschuldung tendieren zu einer lockeren Geldpolitik als die Notenbanker aus Ländern mit einer eher geringen Staatsverschuldung. Diese Korrelation bedeutet jedoch nicht automatisch auch eine Kausalität.
Allerdings lassen sich Argumente dafür finden, dass es einen inhaltlichen Zusammenhang geben könnte und es sich nicht um einen bloßen statistischen Zufall handelt. Zum einen sind höhere Zinsen für Staaten mit hoher Staatsverschuldung eine größere finanzielle Belastung als für Länder mit einer weniger expansiven Fiskalpolitik. Zum anderen führt eine höhere Inflation unter anderem dazu, dass sich der Wert der bestehenden Schulden verringert. Wobei dieser Effekt für Unternehmen und Privatpersonen relevanter ist als für öffentliche Haushalte.