Erderhitzung

Weltweiter Klimaschutz braucht einen Schub

Mit Spannung wird der sechste Sachstandsbericht des Weltklimarates erwartet. Der Zusammenhang zwischen Extremwetter und Klimawandel steht im Fokus. Das dürfte in Deutschland auf offene Ohren stoßen.

Weltweiter Klimaschutz braucht einen Schub

Von Anna Steiner, Frankfurt

Drei Jahrzehnte sind vergangen, seit der Weltklimarat (IPCC) seinen ersten Sachstandsbericht veröffentlichte. In knapp zwei Wochen, am 9. August, erscheint die sechste Ausgabe, die sich erstmals mit den naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels befasst. Dass der Klimawandel längst auch in Deutschland angekommen ist, zeigen die vergangenen Hitzesommer sowie die Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, die ein tagelanger, für Juli untypischer Starkregen verursachte.

Der Sachstandsbericht des IPCC fördert traditionell keine eigenen Erkenntnisse zutage, denn der als zwischenstaatliche Organisation ge­gründete Rat betreibt keine Forschung. Trotzdem wird er mit Spannung erwartet, denn die Experten fassen Tausende veröffentlichte Studien zusammen. Der jüngste Bericht stammt von 2013/2014. Über 230 renommierte Wissenschaftler aus aller Welt sind Hauptautoren und diskutieren in diesen Tagen den Berichtsentwurf. Der Inhalt des Berichts ist noch nicht öffentlich.

Immer wieder gelang es den Wissenschaftlern in der Vergangenheit, Impulse für die Klimapolitik zu geben. Viele Prognosen bisheriger Berichte haben sich bewahrheitet. Und die Daten, die die Forscher auswerten, werden immer genauer. „Der Fokus hat sich verschoben“, sagte Douglas Maraun, ein deutscher Mitautor und Experte für statistische Modellierung an der Universität Graz in Österreich, der Deutschen Presseagentur. „Früher war die Hauptfrage: ‚Was ist der Anteil des Menschen am Klimawandel?‘“ Diese Frage sei beantwortet. Jetzt gehe es mehr in Richtung Klimarisiken. Der Bericht solle die Grundlage für künftige Anpassungen schaffen. Dazu gehören zum Beispiel möglichst präzise Vorhersagen für den regionalen Klimawandel. Das dürfte im derzeit von der Flut gebeutelten Deutschland auf großes Interesse stoßen. Bei der Auftaktsitzung am Montag nahmen fast alle Redner Bezug auf die jüngsten Flutkatastrophen in Deutschland, Belgien, den Niederlanden, aber auch China.

Streng geheim

In Anbetracht dessen, dass keine neuen Forschungsergebnisse zu erwarten sind, mag die Geheimniskrämerei der Organisation im Vorfeld des Berichts befremdlich anmuten. Der Inhalt des sechsten Sachstandsberichts ist noch streng geheim. Die Sitzungen, auf denen die Wissenschaftler die Kapitel zur Veröffentlichung freigeben, finden hinter verschlossenen Türen statt. Hoesung Lee, südkoreanischer Ökonom und Vorsitzender des Weltklimarates, weiß die Spannung für die Botschaft der Forscher zu nutzen. „Die Welt wartet darauf, was der Weltklimarat zu sagen hat“, sagte Lee zum Auftakt und gab zumindest einen Anhaltspunkt: Zu erwarten sei etwa „eine bessere Zuordnung von Extremwetter zum Klimawandel“.

Die Zeit drängt. Seit dem Sachstandsbericht 2013 ist die globale Mitteltemperatur dramatisch angestiegen. Die vergangenen sechs Jahre waren die wärmsten seit Messbeginn. Längst ist der Klimawandel auch in Deutschland spürbar – und das nicht erst seit den verheerenden Regenfällen in jüngster Zeit.

„Die Sommertemperaturen steigen hier deutlich stärker als von Klimamodellen simuliert“, sagt Maraun von der Universität Graz. „Es wird erforscht, welche Rolle dabei Aerosole und natürliche Schwankungen spielen.“ In Deutschland ist der Klimawandel aus verschiedenen Gründen stärker zu spüren. Weltweit ist die Temperatur um rund 1,1 Grad über das vorindustrielle Niveau gestiegen, in Deutschland um rund 1,6 Grad seit 1881. Auch andere Kennzahlen sprechen eine deutliche Sprache (vgl. Grafik): Die Sonne scheint heute 17% mehr als 1981, es gibt 196% mehr heiße Tage als 1951. Auch Starkregen wurde deutlich häufiger gemessen, und der Meeresspiegel ist in Cuxhaven seit 1843 um 42 Zentimeter gestiegen.

Traditionell gilt der IPCC-Bericht als Vorlage für die Weltklimakonferenz. Diese wird im November in Glasgow abgehalten. Es seien noch ehrgeizigere Klimaschutzziele nötig, heißt es. „Wir können nicht Jahrzehnte warten“, sagte Petteri Taalas, Generalsekretär der Weltwetterorganisation (WMO). Positiv sei, dass sich immer mehr Länder und Industrien zum Klimaschutz verpflichteten und der Privatsektor klimafreundliche Investitionen fördere. Die Klimakonferenz hätte eigentlich bereits im vergangenen Dezember stattfinden sollen, wurde aber aufgrund der Coronavirus-Pandemie vertagt.