Christian Moos

„Wichtig, dass Europa handlungsfähiger wird“

Christian Moos, Generalsekretär der Europa-Union Deutschland, zieht ein ernüchterndes Zwischenfazit der Konferenz zur Zukunft der EU. Die Konferenz werde zu wenig beachtet und eine Reihe von EU-Staaten bremsten, kritisiert er im Interview.

„Wichtig, dass Europa handlungsfähiger wird“

Andreas Heitker.

Herr Moos, Sie sitzen für den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Plenum der Konferenz zur Zukunft der EU. Die Konferenz läuft jetzt schon seit einigen Monaten. Mittlerweile haben auch die ersten Bürgerforen stattgefunden, auf denen zufällig ausgewählte Menschen aus ganz Europa über EU-Themen und Reformen diskutieren. Wie fällt Ihr Zwischenfazit bisher aus?

Es ist eine sehr wichtige Konferenz, aber meine Erwartungen wurden bislang leider nicht erfüllt. Das liegt auch daran, dass die Veranstaltung einen nicht hinlänglich großen Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung hat. Von den ersten Bürgerforen in Straßburg hat niemand so richtig etwas mitbekommen. Die Politik hat es hier versäumt, mehr Interesse zu schüren.

Woran zeigt sich das?

Es wird einfach nicht genug über die Konferenz berichtet. Dabei geht es schlussendlich um die Frage, wie wir in Europa leben wollen und wie Europa organisiert sein soll. Es geht um die europäische Ordnung, um den Rahmen, der unsere Existenz auch in Deutschland ausmacht. Eigentlich geht es kaum wichtiger.

Gibt es nicht genug Unterstützung seitens der europäischen Mitgliedsländer?

Der Europäische Rat blockiert. Das muss man leider so sagen. Es gibt eine Reihe von Mitgliedstaaten, die sich an der Konferenz stören und nicht wollen, dass es dort zu verbindlichen Ergebnissen kommt. Das ist so ja auch eigentlich nicht vorgesehen. Aber die Konferenz kann ergebnisoffen zu Vorschlägen kommen, die dann vielleicht in einen europäischen Konvent übergehen. Dabei müssen die Fragen nach der Handlungs- und Zukunftsfähigkeit Europas dringend beantwortet werden. Wir können doch nicht weiter in diesem bisherigen Modus fahren: auf die nächste Krise warten, dann wieder chaotisch reagieren, um schließlich unter hohen Kosten vielleicht einen europäischen Konsens zu generieren. Man könnte sich auch von vorn­herein besser wappnen.

Bremst irgendjemand besonders stark?

Der Enthusiasmus ist allgemein nicht besonders groß. Man kann keine echte Unterstützung erkennen. Es werden zudem viel zu viele Partikularinteressen in den Vordergrund gestellt. Jede Interessengruppe, die an der Konferenz teilnimmt, versucht, ihre eigenen Ziele und Vorstellungen durchzusetzen. Dabei geht es doch darum, dass die Teilnehmer der Konferenz gemeinsam einige Positionen entwickeln sollen, die so überzeugend sind, dass sich damit dann auch die Regierungen auseinandersetzen müssen. Das könnte zu einem echten politischen Momentum führen.

Was wären die wichtigsten inhaltlichen Prioritäten, die Sie dabei setzen würden?

Zum Beispiel die Ausweitung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen in der EU. Es ist wichtig, dass Europa handlungsfähiger wird und die Macht der Veto-Spieler be­schränkt. Und mit Blick auf die Europawahlen 2024 wäre eine weitere Stärkung des Europäischen Parlamentes und allgemein der europäischen Demokratie bedeutsam, zum Beispiel durch ein Initiativrecht des Parlaments oder durch transnationale Wahlkreise.

Wie geht es jetzt weiter?

Wichtig ist zum einen, dass die Konferenz nicht schon während der französischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 zum Abschluss gebracht wird. Man kann dann zwar einen Zwischenbericht vorlegen, es muss aber weitergehen, um genügend Zeit für die Beratungen und einen verbindlicheren Prozess zu haben. Aktuell soll die Online-Plattform der Konferenz schon im Dezember beendet werden. Das trägt so nicht.

Wenn wir auf Deutschland blicken: Nicht nur die Zukunftskonferenz wird hier kaum beachtet. Auch hat die Europapolitik im Bundestagswahlkampf keine große Rolle gespielt.

Ja. Und das ist etwas, das uns sehr ärgert. Eigentlich haben die Wahlprogramme der regierungsfähigen Parteien Europa eine große Bedeutung beigemessen. Es wurden dort entscheidende Fragen angesprochen. Und zusätzlich gab es durchaus Ereignisse – etwa in Afghanistan oder Belarus –, die Anlass gegeben hätten, sich näher mit europäischen Fragen und dem deutschen Standpunkt dazu zu beschäftigen. Dies wurde aber auch von den Medien zu wenig angesprochen.

Jetzt laufen die Sondierungen der Parteien. Was erwarten Sie sich von der künftigen Bundesregierung in Sachen Europapolitik?

Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung – egal wie die Koalition im Endeffekt aussehen wird – wieder eine proaktivere Rolle in Europa einnimmt und das dann mit einem klaren Kompass. Das heißt, es müssen ambitionierte, aber auch realistisch erreichbare Ziele verfolgt werden. Dazu gehört für mich eine stärkere Integration. Die Probleme, vor denen die EU-Staaten stehen, sind nicht nationalstaatlich zu lösen.

Können Sie vielleicht Beispiele hierfür nennen?

Man kann Migrationsprobleme nicht nationalstaatlich lösen. Man kann auch das Pandemieproblem nicht nationalstaatlich lösen. In der Wirtschaft sitzen wir im Binnenmarkt in einem Boot. In den großen Fragen sind wir in Europa auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Wir haben zwar schon Ansätze zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – nur leider sind die völlig dysfunktional. Wir sehen hier eine Kakophonie von Positionen, die sich verhaken und widersprechen. Die neue Bundesregierung sollte eine stärkere Führung übernehmen und zusammen mit Frankreich Leadership zeigen. Denn wenn sich Frankreich und Deutschland nicht konstruktiv verständigen, gibt es auch keinen Fortschritt in der Europäischen Union.

Das Interview führte