KolumneDeregulierung

Wie Airpods und KI-Brillen in Europa zu Cripple-Ware werden

Überregulierung bedroht die Souveränität Europas und hemmt Wachstum sowie Innovation. Wie Digitalminister Wildberger einen liberalen Kulturwandel einfädeln will.

Wie Airpods und KI-Brillen in Europa zu Cripple-Ware werden

Wie Airpods und KI-Brillen in Europa zu Cripple-Ware werden

lz Frankfurt

Überregulierung bedroht die Souveränität Europas und hemmt Wachstum sowie Innovation. Wie Digitalminister Wildberger einen liberalen Kulturwandel einfädeln will.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Schon einmal was vom „Fernunterrichtsschutzgesetz“ von 1977 gehört? Nein? Dafür gibt es eine eigene Behörde in Köln. Die Regelung fußt auf einem Gesetz von 1977, um Nutzer vor unseriösen Anbietern zu schützen. Doch wer schert sich angesichts allgegenwärtiger Lernangebote im Netz noch darum? Oder von den 16 Garagenverordnungen der Länder, die jeweils unterschiedliche Krümmungsgrade bei Auffahrten vorschreiben? Oder vom Zwang für Hersteller von Sicherheitsschuhen, in jedem Paar schriftlich eigene Verwendungshinweise beizulegen?

Die Beispiele sind ein Beleg dafür, dass es wohl eine Menge von Gesetzen geben dürfte, die Geld und Aufwand kosten, aber längst entschlackt, vereinfacht oder gestrichen gehörten. Die genannten tun aber nicht so weh wie manche Regulierung im Bereich digitaler Anwendungen oder Künstlicher Intelligenz (KI). Sind Sie nicht erstaunt darüber, dass Google Streetview den Fotobestand kaum mehr aktualisiert? Es gibt zu viele Einsprüche. Oder die Apple Airpods, die übersetzen können. Nicht in Europa, weil Gesetze verletzt würden. Oder Metas KI-Brille, die Blinden wieder etwas Sehkraft zurückgeben könnte. Nicht hierzulande, weil das ja auf Videoaufnahmen beruht, wodurch die informationelle Selbstbestimmung anderer tangiert werde.

Roland Koch, Frankfurt School und früherer hessischer Ministerpräsident

In einer Konferenz der Frankfurt School ging man den Gründen nach, weshalb es bei der Entbürokratisierung und der Deregulierung so hakt. In Deutschland, aber auch in Europa. Erst jüngst hat das EU-Parlament einer Lockerung des EU-Lieferkettengesetzes die Zustimmung verweigert. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte das als „fatale Fehlentscheidung“ kritisiert und wurde dafür selbst hart angegangen. Bürokratieabbau und Verminderung von Berichtspflichten werden zwar auch von EU-Abgeordneten gern beschworen und versprochen. Doch wenn es konkret wird, verweigern sie sich oft.

Nach Ansicht von Nils Stieglitz, Präsident der Frankfurt School, ist das auch eine Frage europäischer Kultur. Ein Mentalitätswechsel sei nötig, zumindest ein Update. Und Hessens früherer Ministerpräsident und aktueller Direktor des „Frankfurt Competence Center for Regulation“ an der Hochschule, Roland Koch, sprach zwar von einem abstrakten Konsens, „dass es so wie bisher nicht mehr weitergehen kann“. Doch viele verweigerten sich, wenn es um ihre speziellen Anliegen geht und weil sie mehr dem Staat vertrauen als dem freien Markt.

Staat als Dienstleister?

Offenbar, so Koch, seien sich Politik und Gesellschaft uneins über die Rolle des Staates. Einst habe dieser lediglich die Aufgabe gehabt, vor Übergriffigkeit sowie inneren und äußeren Gefahren zu schützen. Heute sei er für viele ein „Dienstleister“. Koch: „Jede Krise, jedes Chaos, jeder Unfall hat eine neue Regulierung zur Folge.“ Daher sei man zuletzt über die Abschaffung von Berichtspflichten und eher randständigen Regulierungen nicht hinausgekommen – und die Gesetze würden nicht weniger, sondern mehr.

Michael Hager (links), Kabinettschef von EU-Kommissar Valdis Dombrovski, und Karsten Wildberger, Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung.

Karsten Wildberger, Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung, zeigte sich denn auch zurückhaltend, ob ein Kulturwandel gelingt, zumal „Mehrheiten in der Mitte“ angesichts der immer stärkeren Ränder immer schwieriger zu organisieren seien. Er warb für mehr Ordnungspolitik und Pragmatismus. Zumindest müsse Deutschland mit dem „Goldplating“ aufhören und dürfe EU-Gesetze nicht noch komplexer machen, als sie es schon sind. Sein Beispiel: Die EU-Datenschutzgrundverordnung wird von 17 Behörden in Deutschland umgesetzt.

Prof. Susan E. Dudley, Gründerin des Regulatory Center an der George Washington University

Wildberger, Koch und Reinhard Göhner vom Nationalen Normenkontrollrat sprachen sich für „Reallabore“ aus, regional abgegrenzte rechtliche Experimentierfelder. Beim „Bau-Turbo“ und dem „LNG-Gesetz“ scheint das mit der Verkürzung der juristischen Instanzenzüge gelungen zu sein. Wenn Bürger dann sehen, dass dabei mehr gewonnen als verloren ist, könnte es Einzug im ganzen Land halten, warben sie. Um zu sehen, wo man hier anpacken muss, schlägt Susan E. Dudley, Regulierungsexpertin aus Washington, vor, mit KI zu prüfen, wo sich Regulierungen widersprechen, überlappen und wo sie unsinnig sind. Zumal sich Menschen „mit weniger Regulierung einfach freier entfalten können“, sagt sie. Wildberger will den Vorschlag aufgreifen.