InterviewPeter Bofinger und Joachim Wuermeling

„Wir sind an einer ganz wichtigen Weggabelung für den digitalen Euro"

Während der ehemalige Bundesbankvorstand Joachim Wuermeling den digitalen Euro befürwortet, steht der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger dem Projekt der EZB sehr skeptisch gegenüber. Bei einem sind sie sich völlig einig sind: Die EZB sollte das Design des digitalen Geldes überdenken.

„Wir sind an einer ganz wichtigen Weggabelung für den digitalen Euro"

Im Interview: Joachim Wuermeling und Peter Bofinger

„Ganz wichtige Weggabelung für den digitalen Euro"

Der fühere Bundesbankvorstand und der ehemalige Wirtschaftsweise kritisieren das aktuelle EZB-Design des digitalen Zentralbankgeldes

Während der ehemalige Bundesbankvorstand Joachim Wuermeling den digitalen Euro befürwortet, steht der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger dem Projekt der EZB sehr skeptisch gegenüber. Bei einem sind sie sich völlig einig: Die EZB sollte das Design des digitalen Geldes überdenken.

Herr Wuermeling, was kann der digitale Euro an Funktionalitäten bieten, was bereits existierende Bezahlmethoden nicht können?

Wuermeling: Zahlungen könnten mit dem digitalen Euro automatisiert werden. Das bietet Raum für unendliche Innovationen, vor allem im Bereich der Transaktionen zwischen Banken und zwischen Unternehmen.

Und dazu brauchen wir digitales Zentralbankgeld?

Wuermeling: In der Tat kann digitales Geld genauso von anderen Emittenten auf den Markt gebracht werden. Das ist ja auch schon der Fall. Das erste digitale Geld waren Kryptos wie Bitcoin und Tether, die aber keinen inneren Wert haben. Neuerdings kommen Stablecoins auf, die mit echten Werten hinterlegt sind wie Staatsanleihen. Ich gehe davon aus, dass es in Zukunft eine Vielfalt an digitalen Bezahlmöglichkeiten gibt. Und dass die Zentralbanken auch digitales, staatlich verlässliches Geld zur Verfügung stellen werden, ist sinnvoll.  

Bofinger: Der Euro war schon digital bevor er physisch wurde. Vor der Einführung des Bargelds gab es das Buchgeld. Eigentlich ist das Geld schon heute ziemlich digital. Die Frage ist also, welchen Mehrwert bietet der digitale Euro im Vergleich zu existierenden digitalen Bezahlmethoden aus der Privatwirtschaft. Viele Dinge, die Sie angesprochen haben, wie etwa die Programmierbarkeit, das geht mit dem digitalen Euro ja gerade nicht. Die EZB sieht keine Programmierbarkeit vor. Unternehmen sollen ihn auch gar nicht selbst halten dürfen. Wobei es den einen digitalen Euro sowieso gar nicht gibt bzw. geben wird.

Wie meinen Sie das, Herr Bofinger?

Bofinger: In der Diskussion um den digitalen Euro geht es um zwei komplett unterschiedliche Dinge: ein neues Zahlungssystem für Europa und eine neue Art von Geld, zumindest aus der Verbrauchersicht. Ich unterstütze den Punkt der EZB, dass es eine europäische Zahlungsplattform geben sollte. Die Frage ist aber, brauche ich den digitalen Euro als neue Geldart, um diese europäische Zahlungsplattform zu schaffen. Ich glaube nicht.

Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg, fotografiert am Rande eines Kongresses zum Thema Rente in Berlin. Von März 2004 bis Ende Februar 2019 war er als „Wirtschaftsweiser“ Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Foto: picture alliance/dpa | Frank Rumpenhorst

Wie könnte so eine europäische Zahlungsplattform ohne einen digitalen Euro aussehen?

Bofinger: Sie könnte auf den ganz normalen Bankkonten, auf den Giroguthaben aufsetzen. In der Schweiz gibt es mit Twint und in Brasilien mit Pix bereits gut funktionierende Zahlungssysteme aus der Privatwirtschaft, die jeweils auf QR-Codes basieren. Das ist die beste Art, wie man Zahlungen machen kann. Wir sollten schauen, wie wir in Europa ein einheitliches QR-Zahlungssystem schaffen. Ein solches System muss nicht eine Zentralbank aufsetzen. Das ist alleine schon ordnungspolitisch fragwürdig.

Die EZB sollte gut überlegen, ob sie auch angesichts der Herausforderungen durch Stablecoin, nicht einen neuen Ansatz wählt.

Joachim Wuermeling

Wuermeling: Ich würde gerne auf Ihre Aussage zurückkommen, dass unser Geld bereits digital ist. Ich gebe Ihnen recht, wenn man sich die konkrete Anwendung anschaut, hat man den Eindruck, das ist ja alles schon auf dem PC oder dem Smartphone. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied zum digitalen Euro. Beim jetzigen Bezahlen lösen Sie im Internet eine Zahlung im konventionellen kontobasierten System aus. Bei einer Kreditkartenzahlung etwa gehen die Daten an den Kreditkartenprovider, dann an die Bank, werden gesettelt, gecleart. Am Ende des Monats gibt es dann die Abrechnung. Beim digitalen Euro braucht es diese Umwege nicht. Das führt zu mehr Kosteneffizienz, Sicherheit und Schnelligkeit. Ich gebe Ihnen zudem recht, dass das Design für den digitalen Euro im Retail-Bereich nur in sehr unbegrenzten Umfang das Innovationspotential entfaltet, das ich zu Beginn des Gesprächs skizziert habe. Daher sollte die EZB gut überlegen, ob sie auch angesichts der Herausforderungen durch Stablecoin, nicht einen neuen Ansatz wählt: Eine technische Basis, die offen ist für DLT-basierte Transaktionen, die weltweit möglich sind – statt eines geschlossenen Systems.

Joachim Wuermeling forscht an der ESMT Berlin zur Digitalisierung der Finanzindustrie und ist als Rechtsanwalt bei A&O Shearman tätig. Bis Ende 2023 war er Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank und dort unter anderem für Bankenaufsicht und IT verantwortlich. Der studierte Jurist bezeichnet sich selbst als Befürworter des digitalen Euro.
Foto: Bert Bostelmann

Hat das verstärkte Aufkommen von Stablecoins verändert, wie Sie über den digitalen Euro nachdenken?

Bofinger: Es ist naiv von der EZB zu glauben, sie könnten mit dem digitalen Euro gegen die Stablecoins angehen. Der digitale Euro ist nur für Zahlungen im Euroraum, damit kann ich nicht mal in der Schweiz bezahlen, er ist nur für Privatpersonen und nicht für Unternehmen und er ist limitiert auf eine gewisse Anzahl, die maximal gehalten werden kann. Das ist überhaupt keine Antwort auf den Stablecoin.

Wuermeling: Das teile ich vollkommen. Deswegen habe ich mit großem Interesse die Spekulationen in der „Financial Times“ zur Kenntnis genommen, wonach in der EZB überlegt wird, den digitalen Euro als Token für Blockchain-Anwendungen zur Verfügung zu stellen. Dann würden die ganzen Begrenzungen, die es im ursprünglichen Konzept gibt, entfallen. Er könnte außerhalb von Europa verwendet werden, Unternehmen könnten ihn halten und so weiter. Ich würde einen solchen Ansatz befürworten.

Die ESMT Berlin, zu deren Lehr- und Forschungsteam Sie gehören, Herr Wuermeling, ist einer der „Pioneer Innovation Partner“ der EZB beim digitalen Euro. Welche Erfahrungen haben Sie bei den bisherigen Tests gesammelt?

Wuermeling: Wir haben einen Use Case begleitet, da ging es um ein Maschinenbauunternehmen, das Spritzgussmaschinen für die Automobilindustrie zur Verfügung gestellt hat. Die Automobilindustrie wollte nur für die Nutzung der Maschine bezahlen. Sie wollten sie nicht kaufen und auch nicht dafür bezahlen, dass sie in der Fabrik steht, sondern nur für die tatsächliche Nutzung. Die Maschine hat aufgezeichnet, wie lange sie benutzt wurde und hat diese Info an die Blockchain weitergeben. Daraufhin wurde automatisch eine Zahlung in digitalem Geld ausgelöst. Es musste also keine Rechnung geschrieben oder dem Geld hinterhergelaufen werden. Das zeigt, welche Sicherheit und Vereinfachung der digitale Euro bieten kann.

Bofinger: Na ja, bei meiner Telefonrechnung wird auch aufgezeichnet, wie viel ich telefoniere und entsprechend abgerechnet. Für solche Anwendungen braucht es keinen digitalen Euro.

Wuermeling: Dort passiert aber die Abrechnung nicht sofort, sondern erst am Monatsende wird beispielsweise geschaut, wie viele Auslandsgespräche es gab und entsprechend abgerechnet. Der von mir beschriebene automatische Vorgang löst das Problem verspäteter Zahlungen und minimiert Zahlungsausfälle.

Wenn die EZB den digitalen Euro öffnet und erweitert, wäre das spannend.

Peter Bofinger

Bofinger: Für mich wäre dann die Lösung ein Paypal für Unternehmen. Dafür brauche ich keine Blockchain. Aber um nochmal auf Ihren Punkt zurückzukommen, dass die EZB ihr ursprüngliches Konzept überdenken könnte. Wenn die EZB den digitalen Euro öffnet und erweitert, wäre das spannend. Dann müsste sie auf Haltegrenzen verzichten und auch den Unternehmen erlauben, welche zu halten. Da könnte ich mir vorstellen, dass es eine Nachfrage gibt. Für große Unternehmen hätte das den Vorteil sicherer Einlagen bei einer Zentralbank. Doch das ist ja genau das, was die EZB nicht will.

Wuermeling: Ich finde bemerkenswert, dass der Skeptiker des digitalen Euro und der Befürworter sich zumindest einig sind, dass wir uns gerade an einer ganz wichtigen Weggabelung befinden, an der man eigentlich das Design des digitalen Euro ändern müsste, um mehr Innovationen zu ermöglichen. So sind ja auch gerade die Diskussionen in Brüssel, ob die EZB mit dem geschlossenen System für den digitalen Euro im Retail-Bereich nicht falsch unterwegs ist.

Halten Sie es denn für realistisch, dass es ein neues Konzept der EZB geben wird?

Bofinger: Also für die Banken wäre das schon schlimm. Denn das wäre ein noch größeres Eindringen der EZB in ein privates Geschäftsfeld. Ordnungspoltisch sollte der Staat eigentlich nur eingreifen, wenn der private Markt versagt. Und es gibt ja private Lösungen, wie etwa die Stablecoins. Mit der Besicherung durch kurzfristige Staatsanleihen kann dabei auch eigentlich nichts anbrennen.

Wuermeling: Über die Sicherheit von Stablecoins lässt sich streiten. Die Sicherheit hat aber auf jeden Fall zugenommen, auch dadurch, dass wir in den USA und Europa inzwischen eine Regulierung haben.

Bofinger: Da möchte ich einhaken. Die Regulierung der EU, MiCAR, ist völlig daneben. MiCAR verlangt, dass der Stablecoin zu 60% mit Bankeinlagen hinterlegt ist. So schafft man eine Verknüpfung zwischen der Stabilität von Stablecoins und der Bankenstabilität. So kann sich eine Krise gegenseitig verstärken. Der Weg von Europa ist völlig falsch.

Die Regulierung der EU, MiCAR, ist völlig daneben.

Peter Bofinger

Wuermeling: Ich würde gerne das Thema Finanzstabilität im Zusammenhang mit dem digitalen Euro ansprechen. Die EZB hat es sowohl bei den Transaktionen zwischen Banken als auch Unternehmen so aufgesetzt, dass man den digitalen Euro gar nicht selber hält. Er wird nur für die Transaktion erworben. In dem Moment, in dem sie dann stattfindet, wird der digitale Euro automatisch wieder in Bankeinlagen umgewandelt. Das ist der Versuch, die Bankeinlagen zu schützen und auch die Kreditvergabefähigkeit der Institute.

Bofinger: Wenn das so käme, dann muss kein Mensch je einen digitalen Euro halten. Dann frage ich mich aber auch, warum macht man es dann überhaupt? Dann kann ich auch direkt wie eingangs gesagt nur ein europäisches Zahlungssystem aufbauen und auf die neue Art des Geldes verzichten.

Wuermeling: Die Innovation im digitalen Geld liegt nicht darin, dass man es hält, sondern darin, dass es sich leichter transferieren lässt. Und darin, welche Anwendungen Unternehmen auf dem digitalen Geld aufbauen.

Die leichtere Transferierbarkeit ist wahrscheinlich vor allem bei grenzüberschreitenden Transaktionen ein Thema, oder?

Bofinger: Direkte Zahlungen sind da sinnvoll, wo es keinen effizienten Intermediär gibt. In der Eurozone haben wir mit Target und SEPA ein gut funktionierendes System. Global ist das Swift-System mühsam. Da machen direkte Zahlungen Sinn.

Wuermeling: Genau, daher müsste der digitale Euro auch so aufgesetzt werden, dass er international einsetzbar ist. Das ist gegenwärtig nicht der Fall.

Wie wichtig ist es denn, dass es in einer Welt, in der Bargeld Stück für Stück an Bedeutung verliert, digitales Zentralbankgeld im Retail-Bereich existiert?

Bofinger: Bisher nimmt der Bargeldumlauf relativ zum BIP zu. Das gilt für den Euro, den Yen und bis zuletzt auch für den Dollar. Das Argument, wir bräuchten einen digitalen Euro, weil es bald kaum noch Bargeld gibt, überzeugt nicht. Was spannend ist, in den USA sieht man, dass zuletzt die Relation Bargeld zu BIP rückläufig ist. Der Stablecoin kann global die Rolle des Dollar-Bargeld als Wertspeicher ersetzen. Es ist reine Spekulation, aber vielleicht liegt der jüngste Rückgang des Bargeldumlaufs beim Dollar im Verhältnis zum BIP am verstärkten Aufkommen von Stablecoins.

Sie sind sich beide einig, dass die EZB über das Design des digitalen Euro nochmal nachdenken sollte. Haben Sie noch irgendwelche Zweifel, dass die Notenbank ihn einführen wird?

Wuermeling: Ich habe keine Zweifel, dass er in irgendeiner Form eingeführt wird. Aber für welche Nutzergruppe zu welcher Zeit, da bin ich mal sehr gespannt. Beim digitalen Euro für den Retail-Bereich haben wir noch viele Diskussionen vor uns.

Bofinger: Ich sehe das ähnlich. In irgendeiner Form wird der digitale Euro kommen. Die EZB muss liefern, nachdem sie bereits so viel Aufwand betrieben hat. Ob der digitale Euro aber ein Erfolg wird, da bin ich sehr skeptisch.

Das Gespräch moderierte Martin Pirkl.