Wirtschaftsforscher warnen vor steuerfreien Überstundenzuschlägen
Wirtschaftsforscher warnen vor steuerfreien Überstundenzuschlägen
Ökonomen gegen steuerfreie Zuschläge
BMF-Beirat befürchtet bei Überstundenregelungen Mitnahmeeffekte und mehr Bürokratie
wf Berlin
Die Bundesregierung soll ihre Pläne begraben, Überstundenzuschläge steuerfrei zu stellen. Dies legt der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium Ressortchef Lars Klingbeil (SPD) in einem Brief nahe. „Die steuerliche Freistellung von Überstunden ist gestaltungsanfällig, führt zu Mitnahmeeffekten und wird Bürokratieaufwendungen erheblich steigern“, schreibt Beiratsvorsitzender Jörg Rocholl, Präsident der Hochschule ESMT, an den Minister. „Es drohen Steuereinnahmeverluste, denen keine positiven Arbeitsangebots- und Wachstumseffekte gegenüberstehen.“
Andere Maßnahmen effektiver
Andere Maßnahmen seien dazu geeigneter, heißt es. Der Beirat rät dazu „gezielt auf Gruppen wie Bürgergeldempfänger oder Zweitverdiener in Ehen und Lebenspartnerschaften“ abzustellen. Diese reagierten besonders sensibel mit Blick auf ihr Arbeitsangebot, wenn sich das Nettogehalt ändere. Der Beirat hatte in zwei Stellungnahmen konkrete Vorschläge dazu gemacht: zur „Reform der Grundsicherung“ sowie zur „Reform der Besteuerung von Ehegatten“.
Überstunden steuerfrei zu stellen, führt nach Einschätzung des Beirats zu „keiner signifikanten Ausweitung des Arbeitsangebots“. Der Effekt auf den Nettolohn sei gering, rechnen die Ökonomen vor. Bei einem durchschnittlichen Brutto-Stundenverdienst blieben nur 3,50 Euro mehr für die Überstunde. Viele Unternehmen gewährten zudem keine Zuschläge. Daraus schließen die Forscher, dass diese nur einen kleinen Effekt auf das Arbeitsangebot erwarteten.
Arbeitgeber zurückhaltend
Nach einer Umfrage des auf den Arbeitsmarkt spezialisierten Forschungsinstituts IAB würden zwar jüngere Beschäftigte bei einem steuerfreien Überstundenzuschlag mehr arbeiten, aber nur 13% ihrer Arbeitgeber wünschten längere Arbeitszeiten. Der Beirat konstatiert ein Missverhältnis zwischen Unternehmen oder Regionen, in denen Menschen bereit wären, mehr zu arbeiten und solche, in denen der Bedarf bestehe.
Erfahrungen in anderen Ländern wie Frankreich zeigten, dass die Steuerfreiheit von Überstunden keinen signifikanten Effekt auf das Arbeitsangebot hätten – und dies, obwohl Frankreich auch noch die Zuschläge von Sozialversicherungsabgaben befreit. Der Beirat befürchtet vielmehr teure Mitnahmeeffekte für den Staat: Wer heute schon Überstundenzuschläge erhalte profitiere, ohne dass er seien Arbeitszeit ausweite.
Hochqualifizierte profitieren
Das Vorhaben sei zudem anfällig für Steuergestaltung und erhöhe letztlich die fiskalischen Kosten. In Frankreich habe sich etwa gezeigt, dass ohne Ausweitung des Arbeitsangebots die Steuerbefreiung gleichwohl zu relevant mehr ausgewiesenen Überstunden hochqualifizierter und hochbezahlter Beschäftigter geführt habe. Bei Führungskräften, Unternehmensberatern und Angestellten in freien Berufen seien Überstunden oft mit dem Grundgehalt oder über Bonuszahlungen abgedeckt. Über eine Umstrukturierung der Kompensationspakete könnten die Beschäftigten in den Genuss von Steuervergünstigungen kommen.
Der Beirat warnt eindringlich vor dem erheblichen zusätzlichen Aufwand für Dokumentation und Prüfung. Die Arbeitgeber müssten Überstunden und Zuschläge erfassen, die heute schon überlasteten Finanzämter sie die Zuschläge in den Einkommensteuererklärungen prüfen. Die widerspreche dem Willen der Regierung, Bürokratie abzubauen.
Nicht zuletzt befürchtet der Beirat eine rechtlich angreifbare Ungleichbehandlung. Bei manchen Arbeitnehmern fielen Überstunden nach einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden an, bei anderen erst nach 40 Stunden. Die Steuerfreiheit hänge dann nicht mehr an der Arbeitsbereitschaft, sondern müsste mit der „Freiwilligkeit der geleisteten Mehrarbeit“ begründet werden. Teilzeitbeschäftigte kämen nicht in den Genuss des Anreizes, schreibt der Beirat. Hier aber liege aber ein großes Potenzial zur Arbeitsausweitung.
