Welthandel

WTO sieht Wende bei Lieferketten­problemen

Der Güterhandel erholt sich laut Welthandelsorganisation zügiger als erwartet. Die ungleiche Impfstoffverteilung stelle allerdings Abwärtsrisiken dar – und der festgefahrene Patentstreit sorgt für Frust.

WTO sieht Wende bei Lieferketten­problemen

rec Frankfurt

Die Volkswirte der Welthandelsorganisation (WTO) sehen Anzeichen dafür, dass die gravierenden Engpässe in vielen Bereichen der Weltwirtschaft von nun an allmählich nachlassen. „Der Höhepunkt der Lieferkettenprobleme ist möglicherweise vorüber“, sagte Coleman Nee, Senior Economist der Genfer Organisation, bei der Präsentationen einer aktualisierten Projektion für den Welthandel. Demnach erholt sich der Güterhandel schneller als vor einigen Monaten erwartet. Ungelöst ist allerdings die Problematik der ungleichen Verteilung von Impfstoffen gegen das Coronavirus – ein Umstand, mit dem WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala „erhebliche Abwärtsrisiken“ für die nach oben revidierte Wachstumsprognose für den Welthandel begründete.

Die mannigfachen Engpässe an Rohstoffen und Vormaterialien sowie anhaltende Logistikprobleme bremsen den an und für sich robusten Post-Corona-Aufschwung in vielen Teilen der Welt. Die deutsche Volkswirtschaft ist wegen der bedeutenden Rolle des Außenhandels in besonderem Maße von den Problemen betroffen. Ökonomen, internationale Institutionen und Organisationen wie der Industrieländerclub OECD haben deshalb in jüngster Zeit reihenweise ihre Wachstumserwartungen für Deutschland im laufenden Jahr zurückgeschraubt. Die Engpässe schüren auch Sorgen über einen womöglich dauerhaften Inflationsschub. Auch unter führenden Notenbankern steigt die Nervosität, weil die preistreibenden Engpässe länger als erwartet anhalten, wie jüngste Äußerungen von Fed-Chef Jerome Powell nahelegen.

Der globale Warenverkehr zieht der WTO zufolge rascher an als bislang angenommen. Der Welthandel wachse in diesem Jahr um voraussichtlich 10,8%, prognostiziert die WTO. Damit nähert sie sich ihrem im Frühjahr als optimistisch angesehen Szenario. Im März war sie nur von 8,0% ausgegangen. Für 2022 hob sie die Prognose von 4,0 auf 4,7% an. 2020 war der Handel wegen eines kurzen, heftigen Kollapses der weltweiten Warenströme um 5,3% eingebrochen.

Logistikkonzerne skeptischer

Engpässe bei wichtigen Produkten wie Mikrochips und Staus in großen Handelshäfen belasten allerdings seit Monaten die Lieferketten und dämpfen den Warenaustausch. WTO-Experte Nee sagte nun, es werde einige Zeit dauern, bis sich die Lage entscheidend bessere, „aber immerhin wird es nicht mehr schlimmer“. Er begründete dies mit Blick auf mehrere Subindikatoren aus weltweiten Einkaufsmanagerbefragungen. Demnach haben Exportneuaufträge zuletzt nicht mehr stärker zugelegt. Einkaufs- und Erzeugerpreise beginnen sich zu normalisieren. Auch werden die durchschnittlichen Lieferzeiten nicht mehr länger.

Große Reedereien wir A. P. Møller-Mærsk und Hafenbetreiber wie DP World sind pessimistischer: Sie erwarten, dass die Lieferkettenengpässe und Logistikprobleme die Weltwirtschaft noch für längere Zeit im Bann halten werden. Wegen der anhaltenden Probleme sehen immer mehr Firmen inzwischen das Weihnachtsgeschäft in Gefahr. Auf dem Seeweg benötigen Waren von China in die USA derzeit mit knapp zweieinhalb Monaten Lieferzeit fast doppelt so lang wie vor der Pandemie, belegen Daten des Containerfrachtdienstleisters Freightos. Dessen einschlägiger Frachtkostenindex FBX, der in der Logistikbranche und bei Ökonomen viel Beachtung findet, zeigt: Das Verschiffen eines Standardcontainers kostet derzeit im globalen Durchschnitt das Vier- bis Fünffache der üblichen Rate. Seit Ende Juli bewegt sich der Freightos Baltic Index (FBX) fast durchgängig über 10 000 Dollar pro Container; üblich sind um die 2 000 Dollar. Die Kosten variieren je nach Route sehr stark: Besonders teuer ist Frachtraum für Lieferungen aus Ostasien in die USA und nach Nordeuropa.

Die größten Risiken gehen der WTO zufolge aber von der Pandemie aus. „Der ungleiche Zugang zu Impfstoffen verschärft die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Regionen“, warnte WTO-Generaldirektorin Okonjo-Iweala. Gespräche über eine Aufweichung von Patenten für Impfstoffe stocken seit Monaten. Etwa ein Dutzend WTO-Mitglieder, darunter Deutschland, sind nach wie vor gegen das Vorhaben einer Gruppe von Entwicklung- und Schwellenländern. Ein Kompromiss ist nicht in Sicht. Die Hängepartie sorge bei mehreren Staaten für Frust, verlautete aus WTO-Kreisen.