Unterm Strich

50+1: Foulspiel statt Fairplay im deutschen Profifußball

Die 50+1-Regel der Deutschen Fußball Liga muss reformiert werden. Aktuell lädt sie wegen der Ausnahmen und faktischer Umgehung zum Foulspiel ein.

50+1: Foulspiel statt Fairplay im deutschen Profifußball

Während sich Fußball-Deutschland in knapp einer Woche vor den Fernsehgeräten versammeln wird, um „Jogis Jungs“ bei der letzten Europameisterschaft unter Bundestrainer Joachim Löw die Daumen zu drücken, plagen die deutschen Fußballmanager hinter den Kulissen ganz andere Sorgen. Denn das Bundeskartellamt hat der Deutschen Fußball Liga (DFL) vor einer Woche mit seiner vorläufigen kartellrechtlichen Einschätzung zur sogenannten 50+1-Regel eine kaum zu lösende Aufgabe aufs Spielfeld gelegt (vgl. BZ vom 1. Juni). Demnach steht das mit der 50+1-Regel verfolgte sportpolitische Ziel, den Vereinen die Stimmrechtsmehrheit an den meist in eine Kapitalgesellschaft ausgegliederten Profikickern zu sichern, nicht im Widerspruch zum Kartellrecht. Doch die „Förderausnahmen“ von der Grundregel, in deren Genuss Bayer Leverkusen, TSG Hoffenheim und VfL Wolfsburg kommen, würden das sportpolitische Ziel der 50+1-Regel konterkarieren und einen Wettbewerbsnachteil für die übrigen, nicht von der Ausnahme profitierenden Clubs bedeuten.

Reform ja, aber wie?

Mit anderen Worten: Leverkusen, Hoffenheim und Wolfsburg droht zwar keine rote Karte durch die DFL, doch das bestehende System muss reformiert werden. Es verzerrt den Wettbewerb und hätte in einem Rechtsstreit kaum Bestand. Denn auch die wirtschaftlichen Aktivitäten von Vereinen und Verbänden unterliegen dem deutschen und europäischen Wettbewerbsrecht.

Das Problem: Niemand weiß, wie eine solche Reform aussehen könnte – die DFL und die in ihr organisierten Fußballvereine nicht, aber auch die von der Ausnahme betroffenen Clubs nicht. Entsprechend halten sich alle mit offiziellen Kommentaren zur Auswirkung der Kartellamtseinschätzung zurück. Aber die Zeit drängt, denn alle haben sie ihre Stakeholder im Nacken: Auf der einen Seite die Vereinsmitglieder und organisierten Fans, die sich ihre in der 50+1-Regel garantierten Rechte nicht nehmen lassen wollen und nun vom Kartellamt Rückendeckung verspüren. Auf der anderen Seite die Investoren und auch Fremdkapitalgeber, die zusätzliches Kapital verständlicherweise an Mitsprache oder Entscheidungsgewalt knüpfen.

Dass die deutschen Profifußballclubs dringend Kapital fürs Überleben benötigen, ist nach einem Jahr pandemiebedingt leerer Stadien auch dem Laien verständlich und wird vom Blick auf die soeben von der DFL publizierten Jahresabschlüsse der einzelnen Clubs unterstrichen. Alle sieben zum 31. Dezember 2020 bilanzierenden Proficlubs der 1.und 2. Bundesliga schreiben rote Zahlen. Doch schon zum 30.6.2020 wiesen viele Clubs einen deutlichen Verlust aus, der seither noch größer geworden sein dürfte.

Die DFL-Zahlen zeigen: Bei vielen deutschen Clubs ist die Eigenkapitaldecke dünn geworden oder gar aufgebraucht, sind wirtschaftliche Existenz und die Bundesliga-Lizenz in Gefahr. Die Rahmenbedingungen für eine Kompromisslösung in der 50+1-Frage, hinter die sich zwei Drittel der 36 DFL-Clubs stellen müssten, sind also denkbar schlecht.

Selbst wenn die drei „Ausnahme-Vereine“ Leverkusen, Hoffenheim und Wolfsburg einer Übergangsregelung zur 50+1-Vereinslösung von beispielsweise fünf Jahren zustimmen wollten, wofür es bis dato keine Anzeichen gibt, wären kaum zu überwindende gesellschaftsrechtliche und steuerliche Hürden zu nehmen. Nicht zuletzt wären auch Eigentumsrechte von VW- und Bayer-Konzern und Dietmar Hopp zu beachten. Und faktisch wird die 50+1-Regel schon heute von anderen Clubs unterlaufen, indem Geldgeber einen dominanten Einfluss auf den Club und dessen Organe ausüben, selbst wenn formal 50+1 eingehalten wird. Beispielhaft seien die besondere Konstruktion bei RB Leipzig genannt, aber auch Hannover 96 mit dem dominanten Investor und Profi-Club-Geschäftsführer Martin Kind oder der FC Augsburg, wo der US-Investor David Blitzer über eine Investoren-GmbH kürzlich groß eingestiegen ist. Auch bei manch anderen deutschen Traditionsvereinen haben sich Kapitalgeber über Sperrminoritäten, Vetorechte und Satzungen einen Einfluss gesichert, der faktisch die 50+1-Regel aushebelt.

Regeln des Kapitalmarkts

Bei einer Reform der 50+1-Regel der DFL muss es also nicht nur darum gehen, wie die drei Förderausnahmen in ein künftiges nationales Level Playing Field eingepasst werden können, sondern wie auch all die anderen bestehenden Wettbewerbsverzerrungen wenigstens ein wenig einzuebnen sind. Da es sich beim Profifußball um ein zunehmend über den Kapitalmarkt finanziertes Geschäft handelt, müssen dort dieselben Regeln gelten wie für andere Kapitalgesellschaften auch. Das gilt insbesondere für die völlig unzulängliche Corporate Governance in den Fußballvereinen und Proficlubs. Wenn ein solcher Weg nicht überzeugend eingeschlagen wird, ist es eine Frage der Zeit, bis sich Politiker nicht mehr mit einem Platz auf der Ehrentribüne bei wichtigen Spielen begnügen, sondern der Rolle des Regulierers nicht widerstehen können.

Dass Politiker dabei eher auf die Jubelrufe der Fans als auf jene der Investoren setzen, sollten die Verantwortlichen in Clubs und DFL immer im Hinterkopf behalten. Als in Großbritannien mit dem Bekanntwerden der Super-League-Pläne die Fan-Seele kochte, war Premier Boris Johnson umgehend zur Stelle und drohte mit politischem Eingriff.

In Deutschland hat der Vereinsfußball nicht nur eine große Tradition, sondern er zählt auch 7,2 Millionen Mitglieder. Tendenz seit Jahren steigend. Zur wirtschaftlichen Attraktivität des Fußballs kommt die sportpolitische und wahltaktische Verlockung. Schon heute unterscheidet die Politik zwischen erwünschten und weniger erwünschten Investoren (zum Beispiel aus China, den Golf-Staaten etc.). Da wäre es dann bis zu einem „Guter-Fußballinvestor-Gesetz“ kein so weiter Weg mehr. Insofern sollten sich DFL und Proficlubs sputen, die 50+1-Welt neu zu justieren, solange sie dies noch selbst in der Hand respektive vor dem Fuß haben.

c.doering@boersen-zeitung.de