Im BlickfeldCCS und CCU vor dem Start

Ab in den Boden mit dem ganzen Kohlendioxid

In einigen Industriebranchen gilt das Abscheiden und unterirdische Speichern von CO2 als unverzichtbar für eine Dekarbonisierung. Der für CCS nötige Gesetzesrahmen wird noch 2025 verabschiedet.

Ab in den Boden mit dem ganzen Kohlendioxid

Ab in den Boden mit dem ganzen Kohlendioxid

In Kürze soll auch in Deutschland das Zeitalter des CCS beginnen. Vorher muss jedoch eine ganz neue Infrastruktur aufgebaut werden. Eine breite Anwendung bleibt umstritten

Von Andreas Heitker, Berlin

Erstmals erhält jetzt auch Deutschland einen gesetzlichen Rahmen, der der Industrie den Transport, die Nutzung und die unterirdische Speicherung von CO2 ermöglicht. Das Bundeskabinett hat Anfang August einen Gesetzentwurf zu der hierfür notwendigen Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes beschlossen. Der Bundestag hat bereits einen Monat später – direkt nach der Sommerpause – die Vorlage in erster Lesung diskutiert. Und noch in diesem Quartal dürften die Gesetzgeber endgültig grünes Licht geben. Nach jahrelangem Hin und Her wird dann auch in Deutschland die Anwendung von CCS (Carbon Capture and Storage) und CCU (Carbon Capture and Utilization) erlaubt sein.

Für die Dekarbonisierung der Industrie gelten CCS und CCU mittlerweile als ein unverzichtbarer Baustein. Es geht um eine Lösung für prozessbedingte CO2-Emissionen in einigen Branchen, die als nur sehr schwer oder sogar als gar nicht vermeidbar gelten. Solche gibt es insbesondere in der Zement- und Kalkindustrie, in einigen Bereichen der chemischen Grundstoffindustrie oder auch bei der thermischen Abfallbehandlung. Das hier entstehende Kohlendioxid soll künftig direkt an der Quelle abgeschieden und dann in geeigneten unterirdischen Speicherstätten langfristig eingelagert werden. Der Transport zu diesen On- oder Offshore-Speichern erfolgt durch ein spezielles Pipeline-Netz, das in Deutschland jetzt erst einmal aufgebaut werden muss, über Lkw oder per Schiff.

Dass Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche so rasch einen Gesetzentwurf vorlegen konnte, lag auch an der umfangreichen Vorarbeit der Ampel. Diese hatte im Mai 2024 schon Eckpunkte für eine Carbon Management Strategie (CMS) beschlossen, die den Weg für CCS und CCU in Deutschland frei machen sollte. Auch Reiches Vorgänger Robert Habeck hatte damals schon klar gestellt, dass ohne diesen Schritt die Klimaschutzziele nicht erreichbar seien. Allerdings hatten es Grüne, SPD und FDP dann nicht mehr geschafft, ihr Gesetz noch durchs Parlament zu bringen.

Die großen politischen Debatten über CCS – die letztendlich im Sande verliefen – begannen bereits zu Beginn der 2010er Jahre, insbesondere mit Blick auf den Einsatz in fossilen Kraftwerken. Das Schlagwort lautete damals „Clean Coal“.

Streitthema Gaskraftwerke

Auch wenn es dieses Mal klappt: Kohlekraftwerke werden auch künftig kein CCS anwenden dürfen. So wollte es die Ampel, und so übernimmt es jetzt auch Schwarz-Rot. Anders sieht es bei Streitthema Gaskraftwerke aus. Für Reiches Energiepolitik ist CCS bei Gaskraftwerken ein unverzichtbarer Pfeiler. Im Vergleich zu Habeck will sie die Versorgungssicherheit in Deutschland mit deutlich mehr neuen Gasblöcken absichern. Und im Gegensatz zu ihrem grünen Amtsvorgänger setzt Reiche auch nicht darauf, dass es mit der Umstellung der neuen Kraftwerke auf Wasserstoff so schnell klappt. CCS/CCU ist für die CDU-Politikerin daher die logische Alternative.

Diese vorgesehene breite Nutzung der Technologie, die weit über die Ausrichtung auf unvermeidbare Emissionen hinaus geht, sorgte in der vergangenen Woche allerdings auch bei einer Experten-Anhörung im Bundestag für viel Kritik. „Wir sehen eine große Gefahr, dass dies in der Energieerzeugung zu einem Lock-in-Effekt in den fossilen Energieträger Erdgas führen kann“, warnte etwa Christine Wilcken, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetags. Wolfgang Köck vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) argumentierte ähnlich: Abhängigkeiten von fossilen Technologien würden verfestigt. Die Transformation von Energiewirtschaft und Industrie werde so verzögert oder blockiert.

Globale Projekte in Vorbereitung

Für den Aufbau einer CCS-Infrastruktur in Deutschland – von Pipelines bis zu Speichern – veranschlagt die Industrie sieben bis zehn Jahre. Um bereits in der ersten Hälfte der 2030er Jahre startklar zu sein, will das Bundeswirtschaftsministerium diesen Investitionen nun den Stempel „im überragenden öffentlichen Interesse“ aufdrücken, um so eine maximale Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung zu erreichen.

Damit soll Deutschland auch gegenüber anderen europäischen Ländern aufholen, in denen der CCS-Hochlauf schon längst begonnen hat. Eine führende Rolle in der EU nimmt insbesondere Dänemark ein, wo gleich mehrere Großprojekte zur Speicherung von CO2 in der Nordsee am Start sind und eine Infrastruktur – auch mit Hilfe öffentlicher Förderung – bis 2030 stehen soll. Im Fokus von Norwegen steht insbesondere das „Northern Lights“-Projekt, ein Joint Venture von Equinor, TotalEnergies und Shell, an dem sich auch die norwegische Regierung beteiligt hat. Auch hier geht es um den Aufbau einer umfassenden CCS-Infrastruktur, bei der das CO2 im Endeffekt über eine Pipeline zu einem Offshore-Speicher tief unter dem Meeresboden geleitet wird.

In den Niederlanden gibt es mit „Porthos“ bereits ein Großprojekt zum CO2-Transport und der Speicherung im Hafen von Rotterdam, an dem unter anderem Gasunie beteiligt ist. In den Startlöchern steht zudem der sogenannte „Delta-Rhine-Corridor“ (DRC), der auf den Aufbau eines Kohlendioxid- und Wasserstoff-Pipelinenetzes zwischen Deutschland und den Niederlanden abzielt. BASF, Gasunie, Open Grid Europe (OGE) und Shell haben hierzu bereits einen Kooperationsvertrag unterschrieben.

Mit großem Wohlwollen werden diese Projekte auch in Brüssel registriert. Denn die EU-Kommission hatte schon im Februar 2024 eine Industrial Carbon Management Strategie veröffentlicht. Diese sieht vor, dass 2040 über 250 Mill. Tonnen und 2050 sogar 400 Mill. Tonnen CO2 aus industriellen Prozessen oder zunehmend auch direkt aus der Luft abgeschieden werden. Dieses Kohlendioxid soll gespeichert, aber langfristig auch stärker industriell weiterverwendet werden, so der Plan, zu dem aktuell ein konkretes EU-Gesetzespaket erarbeitet wird.

Opt-in der Bundesländer für Onshore-Speicherung

Die Bundesregierung setzt bei ihrem nationalen Gesetzentwurf zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetz vor allem auf die CO2-Einlagerung in der Nordsee – außerhalb von Küstenmeer und Meeresschutzgebieten. Eine Speicherung auf dem Festland wäre günstiger, wird aus Angst vor mangelnder Akzeptanz und Protesten in der Bevölkerung aber nur sehr defensiv vorangetrieben: Die Bundesländer erhalten künftig eine Opt-in-Möglichkeit, sich auf ihrem Gebiet auch für eine Onshore-Speicherung zu öffnen.

Ob sich für die Unternehmen die Anwendung von CCS und CCU rechnet, wird vor allem vom CO2-Preis und der staatlichen Förderung abhängen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat in ihrem in diesem Monat gestarteten neuen Gebotsverfahren für Differenz- beziehungsweise Klimaschutzverträge erstmals auch CCS- und CCU-Projekte als förderwürdig anerkannt. Im Gegensatz zum Aufbau des Wasserstoff-Kernnetzes gilt der Bau von CO2-Pipelines aber nicht als staatliche Aufgabe, sondern ist von den Unternehmen zu tragen. Und aus der Wirtschaft sind vereinzelt auch schon Klagen zu hören, dass Schwarz-Rot derzeit noch zu wenig Investitionsanreize setze.