LEITARTIKEL

Auf den Hund gekommen

Knapp zwei Wochen ist es her, dass der US-Internetkonzern Alphabet die Anfrage der britischen Regierung erhalten hat, warum die im Auftrag Westminsters geschaltete Werbung von der Tochter Google auf ihrer Videoplattform Youtube neben Inhalten von...

Auf den Hund gekommen

Knapp zwei Wochen ist es her, dass der US-Internetkonzern Alphabet die Anfrage der britischen Regierung erhalten hat, warum die im Auftrag Westminsters geschaltete Werbung von der Tochter Google auf ihrer Videoplattform Youtube neben Inhalten von Rechtsextremisten, Antisemiten und Hasspredigern gezeigt wird. In der Zwischenzeit hat sich der Unmut unter Werbekunden so schnell verbreitet, wie es sonst nur Katzenvideos auf Youtube gelingt. Die Liste der Unternehmen, die derzeit keine Werbung auf Youtube schalten, umfasst mittlerweile die US-Mobilfunker Verizon und AT & T, den Autobauer Ford, den Gesundheitskonzern Johnson & Johnson, den Einzelhändler Wal-Mart sowie die Kaffeehauskette Starbucks. Klärungsbedarf haben auch der französische Versicherer Axa, das schwedische Einrichtungshaus Ikea und viele andere mehr.Der Boykott trifft Alphabet in ihrem Kerngeschäft. Den Großteil der Werbeerlöse bringt zwar die eigene Internet-Suchmaschine, die nach Einschätzung von Marktforschern in diesem Jahr allein in den USA gut 28 Mrd. Dollar Werbeumsatz machen dürfte. Die 2006 für knapp 1,7 Mrd. Dollar erworbene Youtube gehört aber zu den wachstumsstärksten Feldern von Google im Geschäft mit Werbeanzeigen, die der Konzern neben der Suchmaschine verkauft. Hier hat das soziale Netzwerk Facebook die Nase vorn, das seinen Umsatz mit Online-Anzeigen 2017 um fast ein Drittel auf rund 16 Mrd. Dollar steigern dürfte. Gemeinsam kontrollieren die beiden Unternehmen drei Fünftel des US-Marktes für Online-Werbung, der im laufenden Jahr um 16 % auf 83 Mrd. Dollar zulegen soll.Mit den wachsenden Budgets für Online-Anzeigen – weltweit waren es im vergangenen Jahr 178 Mrd. Dollar und 2017 dürften sie erstmals deutlich über den Ausgaben für Fernsehwerbung liegen – steigen auch die Ansprüche der Werbekunden. Da hat nicht nur Google mit Blick auf die Schaltung von Anzeigen auf Youtube Erklärungsbedarf. Im laufenden Jahr werden Werbetreibende nach Einschätzung von Experten mehr als 16 Mrd. Dollar für Online-Anzeigen ausgeben, die niemand gesehen hat außer das Computerprogramm, das im Auftrag von Betrügern Klicks und Nutzeraktivitäten fingiert. Facebook musste zuletzt einräumen, dass die Erfolgsmessung von Online-Kampagnen ihrer Kunden teils fehlerhaft ist, und hat jetzt versprochen, die eigenen Kennziffern dazu von unabhängigen Dritten prüfen zu lassen.Ganz von allein ist Facebook nicht auf diese Idee gekommen. Erst Ende Januar hatte Marc Pritchard, Marketingchef des Konsumgüterkonzerns Procter & Gamble (P & G) und damit einer der größten Kunden der Werbebranche, eine Art Ultimatum gestellt. Es sei an der Zeit, erwachsen zu werden, sagte der Manager und nahm nicht nur die auf den Hund gekommenen Internetfirmen, sondern auch Werbeagenturen wie WPP in die Pflicht. Ein Jahr gebe er ihnen noch Zeit, “eine transparente, saubere und produktive Lieferkette” für Online-Werbeplätze aufzubauen. Am Ende dürfte es freilich auch P & G schwerfallen, auf Werbung über Google oder Facebook ganz zu verzichten, und Pritchard nutzt wohl einfach eine Gelegenheit, seine Position gegenüber dem Duopol im Online-Werbemarkt zu stärken.Der Frust über Defizite der Online-Werbung ist auch deshalb so groß, da die Internetkonzerne mit dem Versprechen locken, Werbebotschaften mit Hilfe präziser Daten über die Nutzer genau ins Ziel zu bringen. Doch die auf Basis von Algorithmen voll automatisiert gesteuerte Zusammenführung von Anzeigen und Anzeigenplätzen innerhalb von Sekundenbruchteilen führt eben auch dazu, dass die britische Regierung auf dem Youtube-Kanal von Extremisten wirbt und ein Teil der von Westminster freigegebenen Werbegelder bei Feinden der offenen Gesellschaft landet. Wie das genau vonstattengeht, kann nur Google selbst erklären, die versprochen hat, neue Kontrollmechanismen einzuführen. Da auf ihrer Videoplattform in jeder Stunde Videos mit einer Laufzeit von 24 000 Stunden hochgeladen werden, können auch diese Kontrollen nur automatisiert erfolgen.Da trifft es sich gut, dass das 2016 gegründete Start-up Matroid gerade eine Software vorgestellt hat, mit der Videomaterial automatisch auf zuvor definierte Inhalte gescannt werden kann. “Google kann ihnen ein Video mit Katze geben, aber nicht ein Video mit Katze und Großvater oder ein Video mit Katze und Großvater vor dem Weihnachtsbaum”, sagt Pete Sonsini von New Enterprise Associates, ein Investor von Matroid. Katzenvideos auf Youtube sind für Google derzeit allerdings das geringste Problem. ——–Von Stefan ParaviciniWerbekunden von Google stellen fest, dass sie neben extremistischen Inhalten platziert werden. Der Ärger darüber verbreitet sich wie ein Katzenvideo auf Youtube.——-