LEITARTIKEL

Auf Rendite getrimmt

Respekt, die Fusion von Linde und Praxair läuft wie am Schnürchen. Zumindest erweckt die Ertragsentwicklung diesen Eindruck. Auch für die Hersteller von Industriegasen bot die Konjunktur 2019 kein berauschendes Jahr; die Industrieproduktion in der...

Auf Rendite getrimmt

Respekt, die Fusion von Linde und Praxair läuft wie am Schnürchen. Zumindest erweckt die Ertragsentwicklung diesen Eindruck. Auch für die Hersteller von Industriegasen bot die Konjunktur 2019 kein berauschendes Jahr; die Industrieproduktion in der Welt zeigte einfach zu wenig Dynamik. Dennoch schaffte der amerikanisch-deutsche Konzern in seinem ersten gemeinsamen Jahr einen Gewinnsprung – genauer gesagt in den ersten zehn Monaten nach Abschluss der Fusion: Das Ergebnis je Aktie stieg um knapp 19 %. Freilich hat sich dank umfangreicher Rückkaufprogramme die Zahl der Aktien verringert, aber es gelang dem Management, die Produktivität zu steigern und Synergien aus dem Zusammenschluss zu heben.Das lässt sich aus den veröffentlichten Ergebniszahlen erahnen. Für die Begründung muss man der amerikanischen Führungsspitze notgedrungen Glauben schenken. Denn wie hoch die Synergien im vergangenen Jahr waren, verschweigt der Vorstandsvorsitzende Steve Angel. Dass mit der Fusion die Geschäftsentwicklung von außen gesehen undurchsichtiger wird, war zu befürchten und ist auch ein Preis für die Amerikanisierung des traditionsreichen deutschen Konzernteils – wie die Bilanzierung in Dollar sowie nach US-GAAP, die Quartalsdividende und die üppigen Aktienrückkäufe. Bezogen auf die Synergien gelten weiterhin die schon vor dem Vollzug der Fusion genannten insgesamt 1,1 Mrd. Dollar in den Jahren 2019 bis 2021.Mit einer operativen Marge von 18,7 % übertraf Linde plc 2019 den Pro-forma-Vorjahreswert um 1,6 Punkte und ließ den größten Konkurrenten Air Liquide hinter sich. Und das obwohl der französische Konzern mit 17,3 % seinen bisher höchsten Wert erzielte. Auch wenn die Zahlen der beiden Wettbewerber nicht eins zu eins zu vergleichen sind, lässt sich erkennen: Linde nutzt die Größenvorteile, und Angel wird seinem Ruf gerecht, ein Unternehmen auf Effizienz und Rendite zu trimmen.Das kostet allerdings Arbeitsplätze, vor allem nach dem Zusammenschluss von zwei Unternehmen, deren Geschäfte sich je nach Region mehr oder weniger stark überschneiden. In Asien traf dies am meisten zu. Dort lassen sich Stellen geräuschlos abbauen, zumindest dringt nichts von Widerstand nach außen. In Europa dagegen kann das Management Ziele nicht so schnell und einfach durchsetzen. Vor allem in Deutschland nicht, wo es während der Fusionsverhandlungen heftige Proteste gab. Noch immer befürchtet die IG Metall einen Kahlschlag als Folge einer Strategie, die sich allein an den Interessen der Aktionäre orientiere und kurzfristig ausgerichtet sei. Angel wirkt zwar nicht wie ein Manager, der sich von nationalen Aspekten leiten ließe. Aber als CEO formt er Praxair schon seit 2006 nach seinen Vorstellungen. Da gibt es logischerweise aus seiner Sicht im Konzernteil der alten Linde AG viel größeren Nach- und Aufholbedarf, obwohl das Unternehmen schon vor dem Zusammenschluss ein Spar- und Effizienzprogramm startete.Immerhin: Für den von der deutschen Seite in die Fusion eingebrachten Anlagenbau haben sich die Perspektiven aufgehellt. Zunächst waren die Amerikaner skeptisch, doch nun argumentieren sie wie seit Jahr und Tag der Partner: Der Anlagenbau bringt manchen Großauftrag für das Gasegeschäft. Kunden lässt sich beides aus einer Hand liefern, und das Wissen der Verfahrenstechnik bleibt im Haus. Mit solch einem umfassenden Angebot kann in der Branche nur Air Liquide mithalten. Zum Sinneswandel von Angel trug gewiss bei, dass der Anlagenbau mit einer operativen Marge von gut 12 % das alte Ziel der Linde AG von 8 % klar geschlagen hat.Obwohl die Wachstumschancen vorerst mau bleiben, können sich die Aktionäre von Linde noch einiges erhoffen. Seit dem Start der Linde plc Ende Oktober 2018 ist der Aktienkurs um rund 40 % gestiegen; Linde ist hinter SAP das teuerste Unternehmen im Dax. Angel wird nicht lockerlassen, bis das Effizienzpotenzial der Fusion ganz ausgeschöpft ist. Und der Konzern setzt dank seiner Macht in einem Markt, den gerade einmal drei echte globale Anbieter dominieren, sogar in Zeiten einer Konjunkturflaute einen stetigen Preisanstieg durch.Besonders aktionärsfreundlich agiert das Management mit der Strategie, die Dividende immer weiter zu steigern und Aktien in großem Stil zurückzukaufen. Dafür nimmt es eine wachsende Verschuldung in Kauf. Dank des Geschäftsmodells mit einem starken Cash-flow kann sich Linde das alles leisten.——Von Joachim Herr Für die Aktionäre von Linde beginnt die Fusion mit Praxair als Erfolgsstory. Das Streben nach immer mehr Effizienz kostet jedoch Arbeitsplätze. ——