Aufsichtsräte häufen weiter Ämter an
Aufsichtsräte häufen weiter Ämter an
In Zeiten eines sich neu ordnenden Welthandels, umfassender technologischer Disruption durch KI und demographischer Herausforderungen wird die Aufgabenliste von Aufsichtsräten nicht unbedingt kleiner. Trotzdem fehlt es manchen Vertretern nach wie vor an der Einsicht über ihre begrenzten Kapazitäten.
Von Karolin Rothbart, Frankfurt
Die Hauptversammlungssaison neigt sich in Deutschland langsam aber sicher dem Ende entgegen und wie jedes Jahr hat es ein Thema gleich mehrfach in die Schlagzeilen geschafft: Das Phänomen des sogenannten Overboardings, also die Häufung von Mandaten durch Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder. Der Kritik musste sich nicht nur der ehemalige Bahn-Chef Rüdiger Grube mit seinen derzeit noch zwölf Mandaten stellen, sondern beispielsweise auch Kion-Aufsichtsratschef Mohsen Sohi oder Bertelsmann-und RTL-Chef Thomas Rabe, der bei Adidas entgegen früherer Ankündigungen als Chefkontrolleur für ein weiteres Jahr in die Verlängerung ging.
Dass Manager börsennotierter Unternehmen mehr Ämter parallel ausführen als sie nach Einschätzung von Investoren eigentlich sollten, sorgt schon seit Jahren für Diskussionen auf Hauptversammlungen. Man sehe zwar mittlerweile leichte Verbesserungen, sagt ESG-Expertin Vanda Rothacker von Union Investment. „Zufriedenstellend sind die Zahlen aber noch nicht.“ So war es im vergangenen Jahr nach Maßgabe der Fondsgesellschaft bei 27 Dax-Unternehmen zu Ämterhäufung im Aufsichtsrat gekommen. Das bedeutet, dass dort jeweils mindestens ein Mitglied entweder mehr als fünf Aufsichtsratsmandate bekleidet hat, (wobei Union Investment hier auch nicht börsennotierte Mandate mitzählt) oder dass mindestens ein Mitglied gleichzeitig einem Vorstand angehört und insgesamt mehr als drei Mandate ausübt. Im vergangen Jahr traf das noch auf 33 Dax-Unternehmen zu. Im MDax, der zehn Unternehmen mehr umfasst als der Dax, sind die Zahlen etwas höher.
Auch auf Vorstandsebene kam es zum Zeitpunkt der jüngsten Datenerhebung (also zwischen November 2024 und Januar 2025) noch in mehreren Fällen zu Ämterhäufungen. Die Zahlen fallen hier im Vergleich zu den Aufsichtsräten allerdings niedriger aus: Im Dax zählte Union Investment zuletzt noch 14 betroffene Unternehmen, im MDax waren es 11.
Mehr Themen
Mit ihren Anforderungen an die Zusammensetzung von Vorständen und Aufsichtsräten orientieren sich Fondsgesellschaften wie Union Investment heutzutage unter anderem am Corporate Governance Kodex. Der wurde erstmals im Februar 2002 von einer Regierungskommission des Bundesministeriums der Justiz vorgelegt und enthält im Vergleich zum Aktiengesetz deutlich schärfere Empfehlungen zum Thema Overboarding. Die Erwägungen hinter diesen Bestimmungen liegen auf der Hand: Die Manager sollen genügend Zeit mitbringen, um sich den Aufgaben in ihren jeweiligen Unternehmen vollumfänglich widmen zu können. Und diese werden naturgemäß nicht weniger – schon gar nicht in der heutigen Zeit, in der sich Unternehmen durch mehrere Krisen gleichzeitig navigieren müssen.
Das zeigt ein Blick in die Liste der Themen, mit denen sich deutsche Aufsichtsräte heutzutage auseinandersetzen müssen. Ob Nachhaltigkeit, Digitalisierung, KI, Lieferkettensicherheit, interne Kontrolle, Compliance, Nachfolgeplanung, Diversität oder Vorstandsvergütung – Mitglieder von Kontrollgremien müssen auf all diesen Gebieten und darüber hinaus fundiertes Fachwissen mitbringen, wie eine Studie der Kanzlei Hengeler Mueller vom vergangenen Jahr zeigt. Kein Wunder, dass 48% der 118 befragten Aufsichtsratsmitglieder den Umfang ihrer Aufgaben und damit zusammenhängend die zeitliche Beanspruchung als größte Herausforderung für ihre Tätigkeit als Aufsichtsrat erachten.
Mehr als nur Sitzungen
Durchaus wunderlich ist vor dem Hintergrund allerdings, dass manchen Multiaufsichtsräten beim Thema Overboarding offenbar immer noch die Einsicht fehlt. „In Engagementgesprächen, die wir seitens Union Investment führen, haben wir immer wieder den Fall, dass betroffene Personen die Kritik überhaupt nicht verstehen und der Meinung sind, dass sie ihre vielen Mandate sehr gut unter einen Hut bekommen“, erzählt Rothacker.
Und ja, es seien in der Regel auch sehr intelligente Menschen, die in die Aufsichtsräte gewählt werden. „Aber auch deren Tag hat nur 24 Stunden.“ Abgesehen von der immer länger werdenden Themenliste bestehe die Arbeit für Aufsichtsräte auch nicht nur darin, an den Sitzungen der jeweiligen Unternehmen teilzunehmen, sondern diese auch vor- und nachzubereiten und zahlreiche Unterlagen zu sichten.
Diese zunehmende Professionalisierung im Aufsichtsrat werde nicht zuletzt oft auch als Argument hervorgebracht, wenn es um Vergütungsfragen geht, so Rothacker. Im Dax scheinen die Kontrolleure hier allerdings mehr Spielraum zu haben als in kleineren Indizes. So belief sich die Gesamtvergütung für Aufsichtsräte im Leitindex laut einer Analyse der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) 2023 auf rund 124 Mill. Euro. Im MDax waren es rund 60 Mill. Euro und im SDax rund 48 Mill. Euro. Die DSW sieht diese Diskrepanz kritisch. Die Anforderungen an die Aufsichtsratsarbeit seien in den kleineren Indizes „ebenfalls ausgesprochen hoch“, sagte Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler.