Aus der Balance geraten
Aus der Balance geraten
Energiewende
Aus der Balance geraten
Die Energiewende kann deutlich effizienter gestaltet werden. Neue Netzengpässe oder Bremsen für Erneuer- bare müssen dabei aber vermieden werden.
Von Andreas Heitker
Die wesentliche Erkenntnis, die aus dem jüngst veröffentlichten Monitoringbericht zur Energiewende gezogen werden kann, ist, dass Planungen und Realität bei der Dekarbonisierung der deutschen Stromerzeugung nicht mehr übereinstimmen. Zwar gab es zuletzt rasante Fortschritte im Erzeugungsbereich. Knapp 60% des Stromverbrauchs werden ja mittlerweile von Windkraft, Photovoltaik und anderen Erneuerbaren abgedeckt. Aber weder gibt es hier eine Koordination mit dem Netzausbau, noch ist der Wasserstoff-Hochlauf in Gang gekommen. Und die Elektrifizierung auf Verbrauchsseite war auch anders geplant – im Verkehr (E-Mobilität), im Gebäudesektor (Wärmepumpen) und natürlich in der von Rezession und hohen Strompreisen gebeutelten Industrie. Die Folge sind die teuren Ineffizienzen in der Energiewende, die auch noch die Klimaziele und die Versorgungssicherheit gefährden, wenn jetzt nicht nachgesteuert wird.
Auch Rechenzentren und Batteriespeicher wollen ans Netz
Das klassische Zieldreieck der Energiewirtschaft aus Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit und Klimaverträglichkeit wieder in die Balance zu bringen, wie es sich Wirtschaftsministerin Katherina Reiche vorgenommen hat, ist allerdings ein komplexes Vorhaben. Dies zeigt sich beispielsweise beim Netzausbau: Es besteht weitgehend Konsens, dass die Stromnachfrage 2030 etwa 10% bis 20% unter den früheren Berechnungen liegen wird, was auch den Netzbedarf grundsätzlich sinken lässt. Allerdings geht es mittlerweile nicht mehr nur um den Netzanschluss für neue Windräder, Solarparks oder die irgendwann erwarteten neuen Gaskraftwerke, sondern auch um Rechenzentren, die durch die KI-Entwicklung getrieben immer wichtiger werden, und um Batteriespeicher.
Netzbetreiber berichten, dass es Anfragen für den Anschluss von Batteriespeichern im Volumen von 250 Gigawatt (GW) gibt – das 2,5-fache der gesamten deutschen Stromerzeugung. Hierfür ist das System überhaupt nicht ausgelegt. Und zudem: Einen solchen Boom, der in den letzten zwei Jahren entstanden ist, hatte niemand kommen sehen. Kurzfristig auf solche Entwicklung reagieren, können die Netzbetreiber nicht, weil die Planungs- und Genehmigungsverfahren für die nächsten Jahren oft abgeschlossen und die Leitungen zum Teil auch schon im Bau sind. Infrastrukturinvestitionen brauchen halt den langfristigen Blick. Und dieser muss im Bereich der Stromnetze mehr berücksichtigen als eine neue Stromverbrauchsprognose für 2030.
Viele Hebel für mehr Effizienz
Die nun fällige Neujustierung des Netzbedarfs darf deshalb auch nur mit äußerster Vorsicht erfolgen, um keine neuen Engpässe und Unsicherheiten im Markt zu schüren. Die Netzinvestitionen sind einer der größten Hebel, um die Energiewende billiger zu gestalten. Sie sind aber längst nicht der einzige. Gerade die bessere Koordination mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien bieten hohe Effizienzpotenziale. Dazu gehört auch, die Renewables selbst noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Wenn die teure Offshore-Windenergie in der Nord- und Ostsee beispielsweise einen geringeren Anteil im langfristigen Energiemix erhalten würde, könnte schon ein mittlerer zweistelliger Milliardenbetrag eingespart werden.
CCS als Energiewendebremse
Nicht nur positive Effekte dürften dagegen die Änderungen in der Kraftwerksstrategie bringen, die Wirtschaftsministerin Reiche derzeit in Brüssel durchsetzen will. Auf der einen Seite ist es sicherlich richtig, dass sie den Bau von deutlich mehr neuen Gaskraftwerken plant, um die Energiewende abzusichern, als ihr Vorgänger Robert Habeck. Der jüngste Versorgungssicherheitsbericht der Bundesnetzagentur spricht hier eine eindeutige Sprache. Zugleich will sie aber auch die ambitionierten Vorgaben für einen späteren Umstieg auf Wasserstoff zurücknehmen.
Reiche setzt auch bei den neuen Gaskraftwerken eher auf CCS, also die Abscheidung und unterirdische Speicherung von CO2. Und dies dürfte die fossilen Abhängigkeiten doch noch einmal verlängern und den Umstieg auf die Erneuerbaren bremsen. Von einer neuen Balance in der Energiewende könnte dann keine Rede mehr sein.