Außer Atem
Die Luftverschmutzung in der britischen Metropole hat in den letzten Tagen zugenommen. Asthmakranke bekommen kaum noch Luft. Schuld daran ist nicht nur der Autoverkehr, der in London in den vergangenen Wochen wieder Prä-Covid-Niveau erreicht hat. Es ist die Lust am Lagerfeuer, die in den Besserverdienervierteln Feuerschalen aus dem Boden sprießen ließ wie Pilze nach einem Herbstregen. Das Leben als Compliance-Anwalt oder Wirtschaftsprüfer ist eben hart. Es lässt sich oft nur bewältigen, wenn man selbst an Winterabenden mit Craftbierdose in der Hand im Garten in die Flammen starrt. Wenn es ganz schlimm kommt, muss dabei auch noch gegrillt werden. Zu den Gestressten gesellen sich die romantischen Gemüter, die sich an Magazinen wie „Country Living“ orientieren und mitten in der Millionenstadt vor einem Kaminfeuer sitzen.
Gewiss, es macht einen Unterschied, ob der Nachbar abgelagertes Kirschbaumholz verfeuert oder Holzbriketts. Aber der bei der Verbrennung freigesetzte Feinstaub ist nicht besser als der von Diesel-Lkw. Dafür spielt es keine Rolle, dass es sich bei Holz um einen nachwachsenden Rohstoff handelt. Wer in den 1970er Jahren und davor aufgewachsen ist, wird an vielen Ecken im winterlichen London zudem einen Geruch seiner Kindheit wiedererkennen. Es sind die Armen, die sich saubere Brennstoffe wie Erdgas nicht mehr leisten können und Kohle verfeuern.
Londons Labour-Bürgermeister Sadiq Khan weiß das natürlich alles. Allerdings nimmt er lieber die Autofahrer aufs Korn. Mehr als zwei Millionen Hauptstadtbewohner könnten von ihm mit einer zusätzlichen Luftreinhaltungsabgabe belegt werden, bevor seine zweite Amtszeit im Mai 2024 endet. Die meisten von ihnen leben in Randbezirken wie Barnet oder Hillingdon, in denen seine Partei traditionell nicht so viele Stimmen holt. Zudem würde es ihm beim Erreichen der „Net Zero“-Ziele der Stadt nicht viel helfen, den Feuerschalen den Kampf anzusagen. Denn bizarrerweise gilt die Verfeuerung von Holz als klimaneutral. Und so kam ein von City Hall in Auftrag gegebener Bericht zu dem Ergebnis, dass bis 2030 eine Reduzierung des Autoverkehrs um 27 % erforderlich sei, um die ehrgeizigen Klimaziele der Hauptstadt nicht zu verfehlen. Bei der „Clean Air Charge“ geht es Khan zufolge um „einen kleinen Betrag, um das Verhalten der großen Mehrheit zu beeinflussen, die nicht über die saubersten Fahrzeuge verfügt“. Vermutlich werden es bis zu 2 Pfund täglich sein, die von allen Fahrern eines Benzin- oder Dieselfahrzeugs erhoben werden sollen. Langfristig setzt er auf ein Gebührensystem, das sich an der Zahl der gefahrenen Kilometer orientiert.
Der offiziellen Statistik zufolge waren zuletzt 2,6 Millionen Fahrzeuge auf eine Londoner Adresse registriert. Allerdings handelte es sich nur bei jedem 50. fahrbaren Untersatz um ein Modell mit Hybrid- oder Elektroantrieb, für das die geplante Abgabe nicht entrichtet werden müsste. Wer fahren müsse, solle das mit so einem Fahrzeug tun, empfiehlt Khan, ungeachtet der selbst in der Hauptstadt noch unzureichenden Ladeinfrastruktur und der nach wie vor hohen Preise emissionsarmer Modelle. Geradezu unverschämt ist seine Behauptung, es handele sich dabei um „eine Frage der sozialen Gerechtigkeit“. Die ärmsten Londoner hätten entweder kein Auto oder lebten in den am stärksten von der Luftverschmutzung betroffenen Bezirken, lautet seine Argumentation.
Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. In den Außenbezirken leben nicht nur Reiche, es gibt darunter auch Armenviertel wie Hounslow. Anders als die Innenstadtbewohner, die von einem ausgezeichneten öffentlichen Nahverkehrsangebot profitieren, sind viele dort auf ihre Fahrzeuge angewiesen, um arbeiten zu können. Khan braucht einfach dringend Geld, um das schwarze Loch in der Bilanz des Nahverkehrsbetreibers Transport for London zu stopfen, das nicht nur von den Einnahmeausfällen während der Pandemie, sondern auch von ambitionierten Bauprojekten wie Crossrail und der überaus großzügigen Bezahlung der zahllosen Mitarbeiter gerissen wurde. Der Kampf gegen den Klimawandel liefert eine willkommene Begründung dafür, die Bürger zur Kasse zu bitten. Hoffentlich kaufen sich nicht viele eine Feuerschale, um damit fertigzuwerden.