Ausstieg vom Atomausstieg
Ausstieg vom Atomausstieg
Ausstieg vom Atomausstieg
Notiert in Madrid
Von Thilo Schäfer
Altbundeskanzlerin Angela Merkel begründete 2011 den Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft mit dem katastrophalen Reaktorunglück im japanischen Fukushima. Doch spielte auch ein politisches Kalkül eine Rolle, da Merkel um die Chancen ihrer CDU bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg fürchtete. In Spanien könnten nun ebenfalls politische Überlegungen eine unerwartete Wende in der Energiepolitik herbeiführen, allerdings im umgekehrten Sinn. Die Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez zeigen sich auf einmal offen für eine Verlängerung laufender Reaktoren. Die Linksregierung hatte 2019 beschlossen, dass die verbleibenden sieben Meiler an fünf Standorten von 2027 bis 2035 vom Netz gehen sollen. Als erstes wären 2027 der erste von zwei Reaktoren in Almaraz in der Region Extremadura im Westen des Landes dran.
Dort wurden nun wegen Differenzen zwischen den regierenden rechten Parteien Neuwahlen für den 21. Dezember einberufen. Die Sozialisten in der Extremadura fordern eine Verlängerung der Laufzeit von Almaraz, was eigentlich gegen die Linie der Partei in Madrid geht. Doch in der Region ist die Unterstützung für einen Aufschub groß, da Almaraz in dem strukturschwachen Gebiet ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Die Debatte über längere Laufzeiten hat in Spanien seit der Energiekrise nach dem russischen Überfall auf der Ukraine an Fahrt aufgenommen und wurde seit dem massiven Blackout im April sehr akut. Die großen Stromversorger Iberdrola, Endesa und Naturgy, Schwergewichte der Madrider Börse, verlangten jedoch Zugeständnisse in Form von Steuererleichterungen.
Letzte Woche beantragten die drei Konzerne offiziell eine Verlängerung von drei Jahren für Almaraz, das sie gemeinsam betreiben. Die Regierung leitete den Antrag an den Rat für Nukleare Sicherheit CSN weiter, dessen Kriterium nun ausschlaggebend sein soll. Kenner der Branche halten dies für eine reine Formalität. Umweltministern Sara Aagesen hatte die Sicherheit zu einer der „roten Linien“ eines möglichen Umdenkens in der Atompolitik erklärt. Eine weitere rote Linie war, dass die Kosten eines Aufschubs nicht auf Verbraucher oder Steuerzahler abgewälzt werden dürfen. Iberdrola, Endesa und Naturgy verzichten nun auf die gewünschten Steuererleichterungen. Das ebnet den Weg.
Allerdings ist der linke Koalitionspartner von Sánchez, Sumar, gegen eine Wende im Atomausstieg. In Katalonien werden Stimmen lauter, die längere Laufzeiten für die drei Meiler in der Region fordern. Auch manche Investoren fürchten, dass ein längeres Leben der Meiler den Ausbau des Ökostroms ausbremsen könnten. Spanien ist bei der Sonnenenergie führend und hat ein riesiges Potenzial. Das Urteil des Sicherheitsrats CSN muss nicht vor den Wahlen in Extremadura erfolgen. Für Merkel ging der Schachzug damals daneben. Die CDU verlor und Baden-Württemberg bekam den ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland.
