Wie Geopolitik das Bankgeschäft beeinflusst
Wie Geopolitik das Bankgeschäft beeinflusst
Die zunehmenden globalen Spannungen stellen Finanzinstitute vor neue Herausforderungen. Das Risikomanagement stößt an Grenzen.
Von Tobias Fischer, Frankfurt
Es gibt eine lange Liste geopolitischer Risiken, denen sich die Finanzwirtschaft ausgesetzt sieht: Donald Trumps erratische Politik, Handelskonflikte inklusive, Russlands Krieg gegen die Ukraine und hybride Attacken gegen westliche Staaten, Sanktionen, Lieferkettenstörungen, Terrorismus, Cyberangriffe oder Desinformationskampagnen. Diese Liste ließe sich endlos fortführen.
Wir müssen uns auf eine längere Periode anhaltender geopolitischer Spannungen einstellen, die von großer Unsicherheit und erhöhter Volatilität geprägt sein wird.
EZB-Bankenaufseherin Claudia Buch
Von „radikaler Unsicherheit“ spricht Bundesbank-Vorstandsmitglied Michael Theurer deshalb, und Claudia Buch ruft die Banken auf, sich für größere Unannehmlichkeiten mit gravierenden Auswirkungen auf ihr Geschäft zu präparieren. „Wir müssen uns auf eine längere Periode anhaltender geopolitischer Spannungen einstellen, die von großer Unsicherheit und erhöhter Volatilität geprägt sein wird", erklärte die EZB-Bankenaufseherin.
Von Unsicherheit geprägt
Denn geopolitische Risiken sind weniger vorhersehbar als herkömmliche, höchst unsicher, was ihre Eintrittswahrscheinlichkeit und Folgen angeht, und ihr Ursprung liegt jenseits des Finanzsystems. Standardrisikomodelle der Banken stießen angesichts dessen an ihre Grenzen. Nicht nur Institute mit internationalen Engagements oder Präsenz in risikoreicheren Regionen seien verwundbar, so die Aufseherin, sondern Risiken würden angesichts der hochgradigen Vernetzung der Finanzbranche und der Abhängigkeit von Drittanbietern wie Cloud- oder IT-Sicherheitsdienstleistern in alle Winkel des Finanzsystems übertragen.
Was geopolitische von traditionellen Risikotreibern unterscheidet
Merkmal | Geopolitische Risikotreiber | Traditionelle Risikotreiber |
Vorhersagbarkeit | Gering. Geopolitische Ereignisse können unerwartet auftauchen und schnell eskalieren. | Höher. Wirtschaftszyklen und Markttrends lassen sich anhand historischer Daten besser modellieren. |
Abhängigkeiten | Hoch. Komplexe Verknüpfungen zwischen politischen Ereignissen, wirtschaftlichen Faktoren und Finanzsystemen. | Geringer. Eher auf das Finanzsystem beschränkt und weniger von nicht-wirtschaftlichen Ereignissen beeinflusst. |
Quantifizierung | Schwierig. Kann aufgrund der inhärenten Unsicherheit nicht einfach quantifiziert oder nach Wahrscheinlichkeit modelliert werden. | Leichter. Kann oft anhand historischer Daten und Wahrscheinlichkeitsmodelle quantifiziert werden (z.B. Kreditscores, Value at Risk). |
Ambivalenz | Hoch. Gekennzeichnet durch Mangel an klaren Informationen, was Reaktionen erschwert. | Geringer. Mehr datengesteuert, mit klareren verfügbaren Informationen für die Entscheidungsfindung. |
Ralf Schuster, geopolitischer Experte der Helaba, rät Sparkassen und Banken, sich den bestmöglichen Überblick zu verschaffen. Und da spiele nun mal Geopolitik, in der es um die Frage geht, welchen Einfluss geografische Faktoren auf Politik, Gesellschaft und insbesondere auf Märkte nehmen, eine erhebliche Rolle. „Staaten in volatilen weltpolitischen Zeiten nur unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu analysieren und sein Exposure entsprechend zu steuern, springt unter Umständen zu kurz. Die Gefahr dabei ist, geopolitische Ereignisse zu vernachlässigen."

Als Beispiele nennt er exogene Schocks wie den Angriffskrieg gegen die Ukraine, die negative Kettenreaktionen in Gang setzen und Verluste selbst in zuvor stabilen Märkten hervorrufen könnten. „Auch aufseiten der Finanzwirtschaft waren viele Akteure in Russland investiert, mit der Folge, dass sie sich von einem Tag auf den anderen wegen des Krieges in der Ukraine von diesem Markt verabschieden mussten.“
Insolvenzen und Produktionsverlagerungen
Schuster ist seit mehr als 40 Jahren im Bankensektor tätig, fünf davon als geopolitischer Stratege bei der Landesbank. Er bezeichnet sich als Grenzgänger zwischen Finanz- und Realwirtschaft, war er doch unter anderem jahrzehntelang für deutsche Medizintechnik-Exporteure aktiv. Ihm ist also aus der Praxis wohlbekannt, wie sich Störungen von Lieferketten und der Energieversorgung auf die Gesamtwirtschaft niederschlagen. „Die Folgen sehen wir derzeit in Form von Insolvenzen und Produktionsverlagerungen in andere Länder mit günstigeren Standortfaktoren, zum Beispiel billigerer Energie. All diese negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft gehen von geopolitischen Ereignissen aus, denen sich die Finanzwirtschaft nicht entziehen kann.“
Drei Übertragungskanäle
Die Aufseher sprechen von drei Übertragungskanälen, über die geopolitische Ereignisse auf Kredit-, Markt-, Liquiditäts- und operationelle Risiken wirken und sich so auf einzelne Banken oder auch das Finanzwesen niederschlagen. Der EZB-Bankenaufsicht zufolge ist die Wahrscheinlichkeit zwar gering, dass ein geopolitisches Ereignis allein eine Systemkrise auslöst. Doch könne dies der Fall sein, wenn es auf bestehende Schwachstellen trifft.
Da ist erstens der realwirtschaftliche Kanal, über den zum Beispiel, wie von Schuster beschrieben, Einschränkungen von Handelsströmen und Lieferketten Druck auf Unternehmen ausüben. Damit steigen die Kreditrisiken, was mit höheren Rückstellungen und Ausfällen einhergeht und Erträge wie Gewinne der Banken schmälert.
Mögliche Volatilität und steigende Risikoprämien
Über den Finanzmarktkanal als zweitem Übertragungsweg können geopolitische Schocks Anleger verunsichern und Risikoaversion hervorrufen. Die Folge sind etwaige Kurseinbrüche und generell erhöhte Marktvolatilität, sinkende Bewertungen der von Banken gehaltenen Assets und erschwerte bzw. teurere Refinanzierung, da Investoren höhere Risikoprämien verlangen.
Bedrohung durch Cyberattacken
Kriege, Konflikte, Cyberangriffe und Desinformation vermögen sich über den dritten Übertragungsweg, den Sicherheitskanal, schädlich auf Banken auszuwirken. Die zunehmende Digitalisierung und Bedrohung durch böswillige Akteure, ob Kriminelle oder Staaten, verschärften diese Risiken, so die Aufseher. Banken könnten selbst dann betroffen sein, wenn sich Cyberattacken oder auch IT-Probleme außerhalb des Finanzsektors abspielen, etwa wenn es kritische Infrastruktur wie die Stromversorgung trifft oder zentrale Dienstleister ausfallen. Bestes Beispiel für eine solche Störung ist der US-IT-Sicherheitsanbieter Crowdstrike, bei dem im Juli 2024 ein fehlerhaftes Update global branchenübergreifend Ausfälle von IT-Systemen zur Folge hatte.
Inflationstreibende Krisen
Ein steigendes geopolitisches Risiko auch für Banken ist die hybride Kriegsführung Russlands und seiner Verbündeten. Beispiele sind die Sabotage an Daten- und Stromkabeln in der Ostseee oder die Störung von Versorgungswegen nach Europa durch Angriffe der jemenitischen Huthis auf Frachtschiffe im Roten Meer, führt Schuster aus. Auch befeuern Krisen, Kriege und Unterbrechungen der Lieferwege Inflation, mit der möglichen Folge von raschen Zinserhöhungen seitens der Zentralbanken. Diese können hohe Kursverluste auf im Eigenbestand der Banken gehaltene Wertpapiere mit sich bringen, wie im Zuge der Zinswende der EZB Mitte 2022 zu beobachten war. „Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine waren eindeutig inflationstreibende Faktoren“, befindet Schuster.
Auch wie Politik und Notenbanken auf geopolitische Schocks reagieren, etwa in Form von Sanktionen, Handelsbarrieren oder Anpassungen der Steuer- und Geldpolitik, kann sich laut EZB-Aufsicht auf Banken auswirken. Welche Effekte Sanktionen und Reputationsrisiken entfalten können, zeigt das Aus für Banken mit Verbindungen zu Russland im Gefolge des Einmarschs in der Ukraine, so der Europatöchter der russischen Sberbank und VTB.
Sanktionen im Blick behalten
Für die Finanzwirtschaft gehen angespanntere Zeiten nicht nur mit Kostensteigerungen einher, um Vorschriften und Sanktionen einzuhalten, sondern auch mit einem erhöhten Reputionsrisiko. „Der Finanzsektor spielt bei der Umsetzung eine zentrale Rolle und sieht sich immer wieder mit Transaktionen konfrontiert, die der Umgehung von Sanktionen dienen“, sagt Schuster. Dies sei ein enormer Kraftakt, der nicht zu unterschätzende Risiken berge.
Wachsende Compliance-Kosten
Die Abteilungen für Sanktionskontrolle, Compliance und Geldwäschebekämpfung in Finanzinstituten gewinnen ihm zufolge an Bedeutung, wie auch an den Beschäftigtenzahlen abzulesen sei. „Das sind zusätzliche Verwaltungskosten, die der geopolitisch instabilen Lage geschuldet sind.“ Hinzu kommt, dass der finanzielle Schaden bei Sanktionsverletzungen in die Millionen oder durchaus auch Milliarden gehen könne.
HSBC als etwaige Blaupause
Dass der britische Finanzkonzern HSBC die Welt in östliche und westliche Märkte aufteilt, die im einen Fall unter anderem Asien-Pazifik, im anderen etwa Nordamerika und Europa umfassen, kann Schuster zufolge eine Art Blaupause werden, falls sich die Friktionen zwischen den USA und China ausweiten. „Wenn sich dieser Konflikt verschärft, ist zu erwarten, dass die großen Konzerne dieser Welt tatsächlich anfangen werden, ihre Geschäfte in den USA und in China als eigene rechtliche Einheiten zu führen, um sich nicht angreifbar zu machen. Ich bezweifle allerdings, dass es allen Konzernen gelingen wird, in beiden Regionen so stark zu sein, dass sie die jeweils notwendige Stand-alone-Profitabilität erreichen.“
„Decoupling funktioniert nicht"
Auch wenn die bisherige Auseinandersetzung zwischen den beiden Großmächten eher einem „Vorgeplänkel“ gleiche, so hält Schuster es für unwahrscheinlich, dass es tatsächlich zu einer gänzlichen Entkopplung kommt. „Ein vollständiges Decoupling funktioniert in dieser wirtschaftlich diversifizierten Welt nicht."
Gradmesser für Risiken
Als Gradmesser für geopolitische Risiken weltweit gilt der gleichnamige Index, den Dario Caldara und Matteo Iacoviello von der US-Notenbank Fed entwickelt haben. Er basiert auf der Zahl von Artikeln in zehn angelsächsischen Zeitungen über negative geopolitische Ereignisse. Der aktuelle Indexwert von 135 deutet bei einem langfristigen Durchschnitt von 100 auf erhöhte Risiken hin, ist aber noch weit entfernt von Höchstständen wie zu Beginn des Ukraine-Krieges (298), des zweiten Irak-Krieges März 2003 (418) oder nach den Terroranschlägen in den USA im September 2001 (668).
Risikokosten rauf, Rentabilität runter
Die EZB-Aufsicht zeigt auf Grundlage dieses Indexes, wie sich entsprechende Risiken auf Banken auswirken: Demnach führt ein Schock, also ein Anstieg des Geopolitical Risk Index (GPR) um 20%, zu einer Erhöhung der durchschnittlichen Risikokosten um 7 Basispunkte und einer Verschlechterung der Gesamtkapitalrentabilität um 9 Basispunkte.

Nach einem Schock nimmt die Unsicherheit am Finanzmarkt zu. Das ist am Volatitilätsindex VStoxx abzulesen, der um 1,5 Indexpunkte steigt, wobei sich der Ausschlag nach einem halben Jahr mehr oder minder verflüchtigt. Der Euro Stoxx 50 gibt derweil im Gefolge eines solchen Negativereignisses um etwa 1% nach. „Man kann nicht alle Risiken ausschließen", sagt Schuster. „Aber man muss sich natürlich fragen, welche Risiken man eingehen will. Ob es Sinn ergibt, mit bestimmten Ländern dieser Welt zusammenzuarbeiten, die jetzt nicht unter Sanktionen stehen, aber aufgrund geopolitischer Ereignisse in Zukunft unter Sanktionen stehen könnten. Das ist eine sehr komplexe Herausforderung für die Finanzwirtschaft.“

Widerstandskraft stärken
Die EZB-Aufsicht verlangt von Banken, dass sie in der Lage sind zu beurteilen, wie sich geopolitische Risiken auf ihre Geschäfte auswirken können. Neben der Auseinandersetzung damit müssen sie laut Chefaufseherin Buch sowohl in finanzieller als auch in operativer Hinsicht ihre Widerstandskraft stärken. „Alle Banken, nicht nur die, die weltweit tätig sind, müssen wachsam sein. Sie haben geopolitische Überlegungen in ihr Risikomanagement einzubeziehen.“ Dabei ist Buch bewusst, dass nicht jedes Institut die nötigen Ressourcen dafür hat oder die Notwendigkeit erkennt und dass die Überwachung solcher Risiken kostspielig ist.
Die Banken müssen schnell geopolitische Expertise aufbauen, so wie sie es in den Bereichen Sanktionen, Compliance und Geldwäsche getan haben.
Ralf Schuster, Helaba
Für Geopolitik-Spezialist Schuster, der zumindest in der Sparkassengruppe der Einzige seiner Art ist, steht jedenfalls fest: „Die Banken müssen schnell geopolitische Expertise aufbauen, so wie sie es in den Bereichen Sanktionen, Compliance und Geldwäsche getan haben. Das ist aus meiner Sicht eine absolute Notwendigkeit.“
Erträge durch Expertise
Auch wenn die geopolitischen Szenarien, die von Banken und Aufsehern durchgespielt werden und in Finanzstabilitätsberichten sowie Stresstests Berücksichtigung finden, in der Regel negativer Natur sind, so verweist Schuster auch auf positive Seiten: „Sagen wir es so: Mit geopolitischer Expertise lässt sich auch Geld verdienen.“
Seien Geldwäschebekämpfung und Compliance notwendige Kostenfaktoren, die den Banken in erster Linie dazu dienten, finanzielle Nachteile zu vermeiden, so könne geopolitische Expertise Erträge erwirtschaften, wenn durch die richtigen strategischen Schlüsse frühzeitig interessante Märkte und potenzielle Wachstumsfelder identifiziert würden.
Gut darin seien die global agierenden US-Banken. „Sie sitzen sozusagen im Zentrum der Macht. Die enge Zusammenarbeit mit Regierungen sowie den Austausch mit aktiven und ehemaligen Amtsträgern versetzt sie in der Lage, international fundiertere und robustere Strategien zu fahren. Das eröffnet ihnen mehr Möglichkeiten, auch auf den Kapitalmärkten.“