Bank of England droht radikale Ungewissheit
Bank of England
Radikale Ungewissheit
Von Andreas Hippin
Wenn der Staat die Bank of England als Treiber der Wirtschaftsentwicklung ablöst, ist unkonventionelles Denken gefragt.
Sollte die Bank of England den Leitzins am 8. Mai nicht um 25 Basispunkte reduzieren, wären Finanzmarktteilnehmer zu Recht erschüttert. Schließlich wurde ein solcher Schritt von der übergroßen Mehrheit der Volkswirte vorhergesagt. Damit nicht genug, am Markt geht man davon aus, dass die Geldpolitiker die Bank Rate schnell weiter senken werden.
Dabei gibt es mit Blick auf die Inflation keinen Grund zur Entwarnung. Vermutlich setzen die Finanzmarktakteure auf den Herdentrieb der Notenbanker. Er bewog sie schon einmal dazu, durch alle Warnsignale hindurchzusehen – als nach dem Ende der Pandemie die Teuerungsrate zum Höhenflug ansetzte.
Inflationsdruck steigt
Nun ist sie drei Monate unter den Erwartungen der Zentralbankökonomen geblieben. Doch schon der Wert für April dürfte deutlich höher liegen. Denn zu Beginn des Fiskaljahres erhöhen Firmen aus regulierten Branchen wie Telekommunikation die Preise. Dass dabei das vorgegebene Limit voll ausgeschöpft wird, ist keine Frage. Zudem nahm die Aufsicht die Obergrenze für die Energierechnungen privater Haushalte nach oben.
Man darf also davon ausgehen, dass sich die Inflation schneller vom Zielwert von 2,0% entfernen wird als bislang. Zuletzt hatte sie bei 2,6% gelegen. Im öffentlichen Dienst deuten sich erneute Arbeitskämpfe an. Nach den großzügigen Lohnerhöhungen des vergangenen Jahres wollen sich die Gewerkschaften nicht mit einem Inflationsausgleich abspeisen lassen.
Weniger elastisches Angebot
Hinzu kommen die Kosten von Net Zero und die Auswirkungen der Zollpolitik des erratischen US-Präsidenten Donald Trump. Sie dürften Gegenmaßnahmen nach sich ziehen, die zu steigenden Preisen führen. Handelshemmnisse wirken grundsätzlich inflationär. Das sich abzeichnende Ende der hyperglobalisierten und Dollar-basierten Weltwirtschaft sorgt für ein deutlich weniger elastisches Angebot. In so einer Welt ist nicht mehr die Notenbank Treiber des Wirtschaftszyklus, sondern der Staat.
Die britische Wirtschaft stagnierte bereits ohne Trump. Notenbankchef Andrew Bailey warnte zuletzt vor einem möglichen Wachstumsschock, was als Hinweis auf eine schnellere Lockerung der Geldpolitik gedeutet werden kann. Die Auswirkungen auf den Preisauftrieb spielen für ihn offenbar keine so große Rolle. Das gilt auch für die inflationäre Wirkung des Rüstungs-Keynesianismus, auf den Labour setzt.
Fehlende Stabilität
Wenn der Staat nun die führende Rolle in der Wirtschaft übernimmt, wäre politische Stabilität wünschenswert. Doch die Wahlergebnisse der vergangenen Woche zeigen, dass es damit nicht allzu weit her ist. Bei den Nachwahlen für das Unterhausmandat von Runcorn & Helsby setzte sich Sarah Pochin, die Kandidatin der Rechtspartei Reform UK, durch. Zuvor hatte Labour dort eine Mehrheit von 14.696 Stimmen.
Die Geschichte stellt die Qualität der großen Labour-Mehrheit im Unterhaus infrage, die mit lediglich einem Drittel der Stimmen zustande kam. Bei den Kommunalwahlen zeigte sich die Fähigkeit von Reform UK, die weit verbreitete Unzufriedenheit in Mandate umzusetzen. In den Kommunalparlamenten gewann die Partei 648 Sitze hinzu.
Mangelnde Diversität
Die Spitzenämter von zwei großen Kommunalverbänden gingen an Nigel Farages Wahlverein. Vor allem die Tories mussten Federn lassen, denn gewählt wurde vor allem in konservativ geprägten Gemeinden. Doch auch in der ehemaligen Labour-Hochburg Doncaster hat Reform UK nun eine Mehrheit.
Die Bank of England befindet sich in einer Zwickmühle. Unkonventionelle Herangehensweisen wären gefragt. Doch von einer Diversität des Denkens kann keine Rede sein. Baileys Vorgänger Mervyn King hatte die Notenbank deshalb wiederholt kritisiert. Auf die „radikale Ungewissheit“, von der er in seinem Buch „Das Ende der Alchemie“ erzählt, ist sie in keiner Weise vorbereitet. Über Jahre hinweg wurden nur Anhänger der gleichen Denkschule rekrutiert.