Notiert in BrüsselEU-Vokabular

Beichtstühle und eckige Klammern

Non-Paper und informelle Räte, Weißbücher und Konsultationen, Beichtstuhlverfahren und eckige Klammern – EU-Beamte und Diplomaten pflegen ihre eigene Sprache.

Beichtstühle und eckige Klammern

Notiert in Brüssel

Beichtstühle und eckige Klammern

Von Detlef Fechtner

In Brüssel gibt es Dinge, die gibt es gar nicht. Zum Beispiel Papiere, die es gar nicht gibt. So genannte Non-Paper, also Nicht-Papiere. Diplomaten übersetzen den englischen Begriff lieber als informelle Arbeitspapiere. Das klingt weniger irreführend, macht aber deutlich, dass diese Non-Paper nur Zwischenstufen gesetzgeberischer Arbeit beschreiben. Dass man also ja nicht ableiten solle, EU-Kommission oder EU-Ministerrat hätten sich bereits zu irgendetwas entschlossen.

Manchmal, wenn die Profi-Europäer den vorläufigen Charakter unterstreichen wollen, nennen sie das Ganze auch „Weißbuch“. Auch hier das Signal: Sind nur Überlegungen. Trotzdem oder gerade deswegen sind Non-Paper oder White Books interessant, enthalten sie doch Botschaften, in welche Richtung EU-Beamte oder EU-Diplomaten gerade denken.

Genauso neugierig werden im Übrigen die „Konsultationen“ beäugt. Hinter diesem harmlosen Begriff verbergen sich Fragebögen von EU-Kommission oder EU-Aufsichtsbehörden, mit denen Einschätzungen der Industrie oder auch von Umweltverbänden ermittelt werden sollen. Sie enthalten zwar nur Fragen. Aber manchmal sind Fragen ja spannender als Antworten.

Beraten werden Arbeitspapiere und Konsultationen einerseits in „Ratsarbeitsgruppen“ – das klingt nach langweiligen Gremien, die aber oft hochpolitisch sind. Oder andererseits von den zuständigen Ministern bei deren Treffen, den Räten. Auch hier gibt es die Kategorie des Unverbindlichen: Aber weil schlecht die Rede von Nicht-Treffen sein kann, heißen diese Zusammenkünfte „informelle Ratssitzungen“. Jetzt am Freitag und Samstag findet wieder ein „Informeller Ecofin" statt. Europas Finanzminister kommen in Kopenhagen zusammen. Wobei: Wirklich „informell“ sind die Treffen schon lange nicht mehr. Allenfalls gilt das noch für die Agrarminister, denn die fahren gemeinsam gerne aufs Land, besuchen Höfe und Keltereien. Da geht es dann auch etwas formloser zu mit Gummistiefeln statt anthrazitfarbener Anzüge.

Bei den formellen Ratssitzungen gibt es wiederum Tagesordnungspunkte, die es eigentlich nicht (mehr) gibt – bei denen nämlich die Kontroversen bereits von den Botschaftern Tage davor abgeräumt wurden. Diese A-Punkte werden daher binnen Nanosekunden nur noch formell beschlossen. Die Zeit sparen sich die Minister lieber für die strittigen Punkte auf, insbesondere die „eckigen Klammern“. Mit diesen Klammern werden Textstellen markiert, über die es noch Diskussionsbedarf gibt, etwa über Zahlen – 50 Mrd. oder 100 Mrd. Euro, 2,5% oder 4,5%. Und wenn es bei diesen Debatten richtig harzig wird, weil sich einige Mitgliedstaaten mit Händen wehren, geht es zur Not in den „Beichtstuhl“ – die jeweilige EU-Ratspräsidentschaft lotet dann in vertraulichen Einzelgesprächen mit jeweils einem einzigen EU-Land aus, mit welchen Anpassungen (oder Geschenken) man doch noch die Zustimmung gewinnen kann, um die Kuh vom Eis zu bringen.