Im BlickfeldStromausfall

Blackout in Spanien lässt Atomdebatte aufleben

Die Schäden des massiven Stromausfalls auf der Iberischen Halbinsel Ende April für die Wirtschaft halten sich zwar in Grenzen, doch braucht es massive Investitionen, um das Stromnetz gegen neue Blackouts zu wappnen.

Blackout in Spanien lässt Atomdebatte aufleben

Blackout in Spanien
lässt Atomdebatte aufleben

Die Schäden des massiven Stromausfalls für die Wirtschaft halten sich zwar in Grenzen. Doch werden nun mehr Investitionen in die Netzsicherheit gefordert.

Von Thilo Schäfer, Madrid

In Spanien suchen die Verantwortlichen mehr als zwei Wochen danach weiter nach den Ursachen, die den einmaligen, totalen Stromausfall auf dem Festland und in Portugal am 28. April auslösten. Die zuständige Ministerin für die Ökologische Wende, Sara Aagesen, verwies am Mittwoch im Parlament darauf, dass man bei den Blackouts in den USA, Kanada oder Italien vor einigen Jahren mehrere Monate brauchte, um der Sache auf den Grund zu gehen. In Spanien kommt man dem Problem näher. Aagesen schloss einen Cyberangriff, über den anfangs viel spekuliert wurde, aus.

Derweil zeichnet sich ab, dass sich die wirtschaftlichen Schäden wohl in Grenzen halten. Der Dachverband der Arbeitgeber CEOE hatte kurz nach dem Blackout grob überschlagen eine Zahl von 1,6 Mrd. Euro ausgegeben. Davon rückt man nun ab. „Der Stromausfall hat einige Unannehmlichkeiten verursacht, aber wirtschaftlich gesehen war es kein Drama“, meint der Vizepräsident der CEOE, Iñigo Fernández de Mesa, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Die Supermärkte und die Gastronomie beklagten Verluste durch verdorbene Frischware. Doch kehrte der Strom binnen zwölf Stunden zurück, sodass der Schaden begrenzt ist. Viele Bars und Cafés erfreuten sich an dem verhängnisvollen Montag über mehr Besuch als üblich, wo sie auch ohne Licht kalte Getränke und Speisen verkaufen konnten. Die Industrie kann den Produktionsstopp aufholen, versichert Fernández de Mesa. Die Autofabriken von Seat in Martorell und Ford in Almussafes standen einen Tag still. Die Erdölraffinerie von Petronor im Baskenland brauchte dagegen vier Tage, um wieder an den Start zu gehen. Der Verband der Pharmaindustrie erklärte, dass an dem Tag die Mehrheit der 174 Werke ausfielen, der Nachschub an Medizin jedoch nie gefährdet gewesen sei.

Investoren bleiben cool

Schwerer zu kalkulieren ist der mögliche Imageschaden für Spanien, das seit Jahren mit günstigem Ökostrom Investoren ins Land lockt. Unpassenderweise gingen die Lichter aus, als König Felipe mit einer Riege von Ministern Investoren in Madrid auf einem Treffen begrüßten. Doch sind seitdem keine Meldungen über Rückzüge von geplanten Projekten bekannt geworden. Spain DC, die Organisation der Betreiber von Datenzentren, bestreitet, dass der Stromausfall Investitionen gefährden könnte. Spanien ist in den letzten Jahren dank des günstigen Stroms aus Wind und Sonne und dem noch günstigeren Baugrund in abgelegenen Regionen zu einem Magnet für die zukunftsträchtige Branche der Computerfarmen geworden.

„Der Blackout ändert nichts an unseren Plänen“, versicherte Christian T. Skakkebaek, der Mitgründer des dänischen Investors CIP, gegenüber der Zeitung Expansión. CIP zählt zu den größten Finanzierern von erneuerbaren Energien der Welt. Schließlich fürchtet auch der Arbeitgeberverband nicht um den Ruf Spaniens als Industriestandort. „In der Wirtschaft ist das Vertrauen ins Stromnetz groß“, erklärt Fernández de Mesa. „Ich glaube, das alles wird eine Anekdote bleiben“, sagt der ehemalige Wirtschaftsstaatssekretär der konservativen Vorgängerregierung.

Auch wenn Spanien mit einem blauen Auge davongekommen sein mag, heißt das nicht, dass man keine Lehren aus der Krise ziehen will. Dafür müssen zunächst die genauen Ursachen bekannt sein. Aagesen informierte das Parlament darüber, dass in drei Provinzen im Süden und Westen binnen Sekunden Stromkapazitäten von 2,2 Gigawatt vom Netz gingen. Dies führte zu einer Kettenreaktion, für die der Netzbetreiber Redeia offenbar keine Sicherheitsmechanismen aktivieren konnte. Die Wettbewerbsaufsicht CNMC hat vor ein paar Jahren vor der Gefahr großer Schwankungen im Elektrizitätsnetz gewarnt. Eine neue Richtlinie wird derzeit ausgearbeitet.

Einige Experten, sowie nicht ganz uneigennützige Politiker und Wirtschaftsbosse machen den hohen Anteil an erneuerbaren Energien für das Problem verantwortlich. Mehr als die Hälfte der Elektrizität wird durch Ökostrom erzeugt, Tendenz steigend. Diese Energiequelle ist umweltfreundlich und deutlich günstiger als fossile Brennstoffe oder Kernkraftwerke. Doch sie ist starken Schwankungen durch die Witterungsverhältnisse ausgesetzt. Erschwerend kommt hinzu, dass auf dem Markt der erneuerbaren Energien tausende, teils sehr kleine Betreiber am Netz sind.

Eine Maßnahme ist daher, die Speicherkapazität für Ökostrom auszubauen. Denn da hinkt Spanien im europäischen Vergleich weit hinterher. Obwohl das Land die größte Kapazität für grünen Strom in Europa besitzt, liegt der Anteil bei den Speichern lediglich bei 4%, laut dem Branchenverband SolarPowerEurope. Aagesen kündigte daher ein umfangreiches Hilfspaket für den raschen Ausbau der Speicherkapazitäten an. Dank seiner vielen Stauseen kann Spanien auf eine simple Technologie zurückgreifen. Wasser wird von einer Talsperre in einen höher liegenden Stausee zurückgepumpt, an Tagen, wenn Wind und Sonne Überschüsse produzieren. Bei Bedarf fließen die Wassermassen wieder zurück und bewegen die Turbinen.

Frankreich blockiert

In Madrid hofft man nun, dass der Blackout das lang gehegte Anliegen eines Ausbaus der Verbindungen zu Frankreich vorantreiben könne. Die Leitungen über die Pyrenäen haben derzeit nur eine Kapazität, die 5% der spanischen Produktion entspricht. Die Europäische Kommission will die Netze für 15% rüsten. Doch die Franzosen sträuben sich, offiziell aus Umweltschutzgründen. „Ich glaube, Frankreich hat kein Interesse an einem Ausbau wegen seiner Atomindustrie“, äußerte die Energieministerin Portugals, Maria da Graça Carvalho gegenüber der Zeitung El País. Fernández de Mesa von der CEOE teilt diese Meinung. „Das wäre aber eine Win-Win-Situation. Spanien könnte über Frankreich den Rest Europas mit günstigem und sauberem Strom beliefern, auch Deutschland“.

Die CEOE und die Atomlobby in Spanien fordern derzeit eine Verlängerung der Laufzeiten der letzten fünf Kernkraftwerke im Land, die zwischen 2027 und 2035 abgeschaltet werden sollen. Atomkraft diene zur Stabilisierung des Netzes. Umweltschützer wie Greenpeace kritisierten die Forderung nach mehr staatlicher Förderung für die Kernkraftbetreiber. Bei der Linksregierung stößt das Anliegen nach längeren Laufzeiten auf wenig Interesse.

In Antwort auf den Blackout fuhr der Netzbetreiber Redeia zunächst die Produktion der Gaskraftwerke hoch, was sich auf die Preise auswirkt. „Wir werden auch weiterhin bei den Preisen wettbewerbsfähig sein“, kommentiert Fernández de Mesa: „Vielleicht benötigen wir für das Backup etwas mehr Gas, was ein bisschen teurer ist. Das ist eine Sache der Feineinstellung durch den Betreiber, der einen richtigen Mix für die Sicherheit des Systems finden muss. Aber es ist kein strukturelles Problem. Wir haben aus der Sache gelernt“.

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