Im Blickfeld Viel Bewegung im TV- und Streamingmarkt

Kooperationen und Konsolidierung im Hauptprogramm

Die europäische Fernseh- und Streamingbranche ist im Umbruch. Die privaten deutschen TV-Konzerne ProSiebenSat.1 und RTL stehen im Mittelpunkt. Viele Fragen sind offen.

Kooperationen und Konsolidierung im Hauptprogramm

Kooperationen
und Konsolidierung
im Hauptprogramm

Der europäische Fernseh- und Streamingmarkt ist im Umbruch. Die privaten deutschen TV-Konzerne ProSiebenSat.1 und RTL stehen im Mittelpunkt.

Von Joachim Herr, München

Seit dem Einstieg von Media for Europe vor sechs Jahren – damals noch als Mediaset – werfen die Pläne der Italiener mehr Fragen als Antworten auf. Inzwischen hat sich der von der Familie Berlusconi kontrollierte Konzern gut 40% der Anteile an ProSiebenSat.1 gesichert. Am 13. August um Mitternacht endete die Frist für das Übernahmeangebot an die anderen Aktionäre. Egal, wie es nach der üblichen Verlängerung um zwei Wochen aussieht, bleibt die Frage: Was hat Media for Europe mit dem deutschen TV- und Streamingkonzern vor? Gelingt es Vorstandschef Pier Silvio Berlusconi, sein seit Jahren favorisiertes Vorhaben zu verwirklichen, einen paneuropäischen Verbund zu schaffen?

Unabhängig von der weiteren Entwicklung dieser italienisch-deutschen Verbindung ist in der Fernseh- und Streamingbranche viel in Bewegung. „Ich glaube, dass es eine weitere Konsolidierung in Europa geben wird und geben muss“, sagte in diesen Tagen Thomas Rabe, der Vorstandsvorsitzende der RTL-Gruppe und von Bertelsmann, in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. „Wir sind eben nicht mehr in einem nationalen, lokalen Wettbewerb, sondern stehen in Konkurrenz zu Plattformen, die über ganz andere Größeneffekte und -vorteile verfügen als wir.“

„Nationale Champions“

Da ist sich Rabe mit Berlusconi einig, der den Markt ebenfalls nicht den US-amerikanischen Konzernen wie Netflix, Amazon und Disney überlassen will. Im Gegensatz zur Europa-Idee von Media for Europe nimmt der RTL-Chef einzelne Länder in den Blick. „Nationale Champions“ sind seine Schlagworte: „Das ist seit vielen Jahren unsere Strategie.“ In Frankreich und den Niederlanden ist Rabe jedoch an den Kartellbehörden gescheitert.

In Deutschland wäre ein Zusammengehen von RTL und ProSiebenSat.1 aus seiner Sicht erfolgversprechend gewesen. Wettbewerbs- und Medienaufsicht hätten diese Fusion mit großer Wahrscheinlichkeit jedoch abgelehnt. Deswegen blieb es eine vage Idee. Mittlerweile hat sich der Wettbewerb mit der Expansion von Netflix & Co. verschärft. „Auch wenn ein Zusammengehen mit ProSieben irgendwann kartellrechtlich möglich wäre, streben wir das nicht mehr an“, stellt Rabe klar, „weil es schlicht nicht mehr erforderlich ist.“

Er zeigt sich zuversichtlich, dass die EU-Kommission die Ende Juni angekündigte Übernahme von Sky Deutschland im nächsten Jahr erlauben wird. Sein Argument: unterschiedliche Geschäfts- und Finanzierungsmodelle. Werbung macht im Gegensatz zu RTL nur einen kleinen Teil des Umsatzes von Sky aus.

„Die Fernsehwelt ist im Umbruch“

Die Wettbewerbshüter können die Markttrends freilich nicht übersehen. Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamtes, konstatierte vor kurzem: „Die Fernsehwelt ist im Umbruch, und es besteht ein verstärktes Interesse an Kooperationen, um im zunehmenden Wettbewerb mit internationalen Playern bestehen zu können.“ Anlass war die Freigabe für ein Gemeinschaftsunternehmen von RTL 2 und Warner Bros. Discovery, um Werbung zu vermarkten. Der US-Konzern betreibt hierzulande kleinere Sender wie DMAX, Tele 5 und Eurosport sowie im Pay-TV etwa Discovery Channel und Warner TV.

Das Kartellamt begrenzt nach eigener Darstellung den Markt nicht mehr auf TV-Werbung, sondern betrachtet einen „Big Screen-Werbemarkt“, der „insbesondere auch die Angebote von Netflix, Amazon Prime, Disney und in gewissen Umfang auch YouTube umfasst“. Die zeigen inzwischen ebenfalls Werbung.

„Eine ganz neue Richtung“

Die Bereitschaft der Unternehmen zu Kooperationen ist gestiegen, und sie steigern ihre Anstrengungen. Netflix kündigte vor einigen Wochen erstmals eine Zusammenarbeit mit einem klassischen Fernsehsender an: Vom Sommer im kommenden Jahr an sollen das Programm und auch die On-Demand-Inhalte der Sendergruppe TF1, des größten privaten Fernsehkonzerns in Frankreich, auf der Streamingplattform zu sehen sein. In der Branche stieß die Ankündigung auf große Aufmerksamkeit. „Das ist eine ganz neue Richtung“, heißt es.

Ein Pakt mit dem Gegner

Trotz dieser Kooperation baut TF1 das eigene Streamingangebot aus, das sich mit Werbung finanziert und die Zuschauer nichts kostet. Beide Partner erhoffen sich zusätzliches Geschäft nach der Devise: Wenn du deinen Gegner nicht besiegen kannst, verbünde dich mit ihm. TF1 verspricht sich davon eine größere Reichweite, Netflix mehr Abonnenten und Kundentreue. In gemeinsamen Koproduktionen haben beide schon Erfahrungen miteinander gesammelt.

Auch die zwei großen deutschen privaten TV-Gruppen vertrauen Kooperationen – nicht nur, wenn es um Technologie, Inhalte und Distribution geht. Werbung zählt ebenfalls dazu. In diesem Markt verändert sich einiges, da multinationale Werbekunden dazu übergehen, ihre Budgets zu zentralisieren und nicht auf einzelne Länder auszurichten. RTL und ProSiebenSat.1 arbeiten in der Werbevermarktung und der -technologie zusammen.

Mehr Zusammenarbeit angestrebt

RTL-Chef Rabe sagt, alle Kooperationen des Unternehmens seien überwiegend sehr erfolgreich. Weitere Möglichkeiten würden genutzt. „Ich bin zuversichtlich, dass wir da in den nächsten Wochen und Monaten Ankündigungen machen können.“

Wahrscheinlich bleibt RTL damit nicht allein. „ProSiebenSat.1 muss stärker nach Partnerschaften Ausschau halten“, ist aus dem Unternehmen in Unterföhring bei München zu hören. Die Begründung: zum einen, weil die Branche im Umbruch sei, zum anderen, weil sich der deutsche Markt mit dem Zusammenschluss von RTL und Sky stärker konzentrieren werde.

Skepsis in Unterföhring

Gegenüber dem Plan des Großaktionärs Media for Europe (MFE) für einen europäischen Verbund schimmert in Unterföhring nach wie vor Skepsis durch, auch wenn der Vorstand von ProSiebenSat.1 das erhöhte Angebot von MFE unterstützt. Dagegen entschied der Finanzinvestor General Atlantic, seinen Anteil von rund 2,4% der tschechischen Beteiligungsgesellschaft PPF anzudienen. Diese hat sich bisher 18,4% an ProSiebenSat.1 gesichert, hält nichts von der Europastrategie von MFE und will als Gegengewicht ihren Einfluss auf das deutsche Medienunternehmen wahren.

RTL-Vorstandschef Rabe verfolgt das Rennen um den Konkurrenten anscheinend ungerührt. „Ganz ehrlich“, beteuert er, „für uns hat das keinerlei Auswirkungen“. RTL stehe nicht im Wettbewerb mit MFE, sondern mit ProSiebenSat.1. Für ihn ist die Konsolidierung in den jeweiligen Ländern entscheidend. Mit der Übernahme von Sky strebt RTL innerhalb von drei Jahren Synergien von 250 Mill. Euro jährlich an. „Das ist unsere klare Priorität“, sagt Rabe. Und neue Kooperationen, wenn es sinnvoll und möglich sei.

In der Fernseh- und Streamingbranche bewegt sich viel. Zur Zukunft von ProSiebenSat.1 sind nach wie vor viele Fragen offen.