Brasiliens schwieriges Verhältnis zu den USA
Brasiliens schwieriges Verhältnis zu den USA
Trump geht auf seinen Amtskollegen Lula zu. Sein Beweggrund dürfte in den Vorkommen der begehrten seltenen Erden und der befürchteten stärkeren Zuwendung des südamerikanischen Landes zu China liegen.
Von Andreas Fink, Buenos Aires
US-Präsident Donald Trump hat die Welt schon fast an seine jähen Richtungswechsel gewöhnt. Doch mit dieser Volte schaffte er es, mehr als hundert anwesende Staatschefs auf einmal zu verblüffen: In seiner Rede vor der UN-Vollversammlung in New York erklärte Trump seinen brasilianischen Amtskollegen Luiz Inácio Lula da Silva zum „sehr netten Mann“. Denselben Politiker, dessen Land Trump im August Strafzölle von 50% auf fast 700 Produkte aufgezwungen hatte. Aber nun berichtete der US-Präsident über seine kurze Begegnung mit Lula in den Gängen des UN-Gebäudes: „Wir hatten eine ausgezeichnete Chemie!“ Darum möchte er schon in dieser Woche den Brasilianer empfangen. Dieser nahm die Einladung an. Allerdings: Innere Angelegenheiten wie das Vorgehen der brasilianischen Justiz dürfen kein Gesprächsgegenstand sein.
Bovespa erholt sich schnell
Als Trump im Juli die Strafzölle ankündigte, begründete er sie mit dem Prozess gegen den Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro, seinen engen Verbündeten. Trump forderte, die „Hexenjagd“ vor dem obersten Gerichtshof müsse enden. Doch Lula ließ sich nicht erschrecken und startete die Suche nach neuen Absatzmärkten. Zudem organisierte er staatliche Ausgleichszahlungen für betroffene Betriebe. So kam es, dass Trumps Drohungen Lulas schwindende Popularität neu belebten.
Und als die Zölle schließlich wirkten, war Brasiliens wirtschaftliche Schaden offenbar auch überschaubar: Weniger als 20% des brasilianischen BIP hängen am Export, nur rund 12% aller Ausfuhren gehen in die USA. Öl, Orangensaft und Flugzeuge sind wie mehr als 600 Produkte von den Zöllen ausgenommen. Nach einem kurzen Schreckmoment erholten sich der Real und die Aktienkurse rasch, der Bovespa-Index liegt mit gut 145.000 Punkten deutlich über dem kurzen Einbruch am 1. August, als der Index auf 132.437 abgesackt war.
US-Verbraucher sind die Zollverlierer
„Die eigentlichen Verlierer von Trumps Zollkriegen sitzen nicht zwingend in den betroffenen Ländern“, sagt Tanja Kusterer, Portfoliomanagerin bei Fisch Asset Management. Sondern in den USA, wo Verbraucher unter steigenden Preisen leiden, was auf Trumps Zustimmungswerte durchschlägt. Anfang September hat Trump den brasilianischen Fleischtycoon Joesley Batista empfangen, dessen US-Holding J&F Group 75.000 Menschen beschäftigt. Batista rechnete Trump vor, dass Zollaufschläge den Preis für Hackfleisch in Hamburgern deutlich antreiben werde. Diese Erklärung könnte den Stimmungswechsel begünstigt haben, vermuten Brasiliens Leitmedien.

Außer diesen wirtschaftlichen könnten aber auch noch geopolitische und sogar psychologische Aspekte mitspielen. Mehrere republikanische Abgeordneten äußerten die Befürchtung, dass die Zölle Brasilien noch weiter in die Arme Chinas treiben würden, das ohnehin schon der mit Abstand größte Handelspartner des südamerikanischen Riesen ist.
Seltene Erden wecken Begehrlichkeiten
Noch ehe die Strafzölle verhängt wurden, hatten Trumps Diplomaten in Brasilia vorgefühlt, um US-Konzernen die Ausbeutung der brasilianischen Vorräte an seltenen Erden zu erlauben. Auch bei diesem Thema spielt der Faktor China mit, denn diese Nation kontrolliert 85% der Förderung und Vorverarbeitung dieser essentiellen Grundstoffe für moderne Elektronik. Und China hat im Zollstreit bereits den Export seltener Erden in die USA gestoppt, bis Trump seine Zollsätze von über 100% zurücknahm. Die USA wollen im Interesse ihrer nationalen Sicherheit unbedingt autonom von Peking werden. Der Schlüssel dazu vor allem liegt in Minas Gerais, dem Bergbau-Bundesstaat. Brasilien hat die zweitgrößten bekannten Vorkommen an seltenen Erden und Trump will sich diese sichern. Lula hat nun angedeutet, dass er auch bereit sei, mit Trump über seltene Erden zu sprechen bei ihrem Meeting diese Woche, dessen genauer Termin bei Redaktionsschluss noch nicht feststand.
Weg frei für de Freitas
Brasilianische Journalisten machen noch auf einen dritten Beweggrund aufmerksam: Trump meidet Verlierer. Die Eindeutigkeit der brasilianischen Justiz, die Bolsonaro wegen einer enormen Menge an Belastungsmaterial zu 27 Jahren verurteilt hat, habe ihm klar gemacht, dass ein Festhalten an Bolsonaro ihm selbst schaden könnte – und auch den US-Interessen in Brasilien. Zudem hat das Urteil des Obersten Gerichtshof die Hängepartie im rechten politischen Lager Brasiliens beendet. Nun ist dort der Weg frei für Tarcísio Gomes de Freitas, den Gouverneur des wirtschaftskräftigsten Bundesstaates São Paulo. 1975 in Rio de Janeiro geboren, trat er in die Streitkräfte ein, studierte Ingenieurwesen und diente 17 Jahre in der Armee, darunter bei der UN-Mission in Haiti. 2008 wechselte er in den Staatsdienst, leitete unter Dilma Rousseff das Transportdepartement DNIT und koordinierte später Privatisierungen im PPI-Programm. Unter Bolsonaro war er Infrastrukturminister, seit 2023 ist er Gouverneur von São Paulo. De Freitas steht für Effizienz und Stabilität, für marktfreundliche und planbare Politik. Er könnte der Rechten 2026 ein neues Profil geben, moderater und umgänglicher als jenes des Krachmacher-Clans Bolsonaro. Und er ist 29 Jahre jünger als der Amtsinhaber und wahrscheinliche Gegenkandidat Lulas.
Machtwechsel wird wahrscheinlicher
Auch wenn der Streit mit den USA dem linken Lula zwischenzeitlich Aufwind verschaffte, scheint die wirtschaftliche Gesamtsituation eher einen Machtwechsel zu begünstigen. Für 2025 wird nur noch ein Wachstum von etwa 2% erwartet, bei einer weiterhin hohen Inflation von rund 5%, wegen der die Zentralbank den Leitzins Selic auf 15% gesetzt hat. Darunter leiden Investitionen und Konsum. Gleichzeitig schwankt der Real und verteuert Importe, was die Inflation zusätzlich antreibt. Vor allem hat Lulas Vielparteienregierung ein Schuldenproblem. Auf 90% des BIP summieren sich alle Verbindlichkeiten, trotz eines Sparprogramms und Bemühungen um ein geringeres Defizit. Insgesamt steht Brasilien vor der Herausforderung, Inflation und Defizite zu senken, ohne das Wachstum weiter abzuwürgen. Kurzfristig überwiegen die Risiken, mittelfristig könnte das rohstoffreiche Land wieder stärker wachsen, wenn konsequente Reformen angegangen werden. Auch das spricht für einen Richtungswechsel, der letztlich auch den Vereinigten Staaten mehr nutzen wird als der Zollkrieg.