Die Idiotenprämie ist zurück
Britische Anleihen
Die Idiotenprämie ist zurück
von Andreas Hippin
Großbritannien zahlt für die Kreditaufnahme so viel wie seit 27 Jahren nicht. Für höhere Ausgaben sind das keine guten Bedingungen.
Die Flitterwochen sind schon lange vorbei. Nach der Wahl im Juli vergangenen Jahres hofften Finanzmarktteilnehmer, dass politische Stabilität in Großbritannien einkehren würde. Inzwischen ist klar, dass Schatzkanzlerin Rachel Reeves die Kontrolle über die öffentlichen Finanzen verloren hat. Für ihre Regierung erreichten die Kosten der Kreditaufnahme am Montag den höchsten Stand seit 27 Jahren.
Die Idiotenprämie ist wieder da. Das böse Wort geht auf das Jahr 2022 zurück, als die Renditen am Markt für britische Staatsanleihen (Gilts) nach oben schossen. Zuvor hatte die konservative Regierung von Elizabeth Truss einen nicht gegenfinanzierten Wachstumshaushalt vorgelegt. Groß war die Häme in den Labour nahestehenden Medien. Andrew Bailey, der Gouverneur der Bank of England, konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als der damalige Schatzkanzler Kwasi Kwarteng von der IWF-Tagung nach London zurückbeordert wurde, um eine Entlassung entgegenzunehmen.
Hinterbänkler schießen quer
Reeves gilt als angezählt, seitdem Premierminister Keir Starmer im Juli ignorierte, dass sie bei einer Fragestunde im Unterhaus Tränen vergoss. Er vermied, sich sofort uneingeschränkt hinter sie zu stellen. Kurz zuvor hatten Labour-Hinterbänkler in ihrem Haushalt fest eingeplante Kürzungen von Sozialleistungen verhindert. Das zeigte, dass die Regierung nicht dazu in der Lage ist, den ausufernden Sozialstaat einzudämmen.
Am Markt geht man davon aus, dass Großbritannien mehr Schulden als gedacht machen muss, um all die Wohltaten zu bezahlen. Denn trotz der heftigen Erhöhung von Steuern und Abgaben, mit der Reeves im Oktober vergangenen Jahres aufwartete, reichen die Einnahmen nicht. Das Wachstum stottert. Eine Reihe politischer Fehlentscheidungen treibt die Inflation nach oben.
Teufelskreis droht
Die dramatisch gestiegenen Kosten für den Schuldendienst könnten einen Teufelskreis in Gang setzen: neue Schulden machen, um Zinsen zahlen zu können. Noch ist man allerdings weit von der Situation 1976 entfernt. Damals musste der Labour-Premier James Callaghan den IWF um Hilfe bitten. Starmer ist um Schadensbegrenzung bemüht. Er entmachtet Reeves zu einem gewissen Grad, indem er ihren Stellvertreter Darren Jones, einen hochrangigen Beamten des Schatzamts und die ehemalige Notenbankerin Nemat „Minouche“ Shafik an seinen Amtssitz in 10 Downing Street holt.
Solche Zerwürfnisse werden am Markt genau verfolgt. Sie waren in der Vergangenheit meist der Anfang vom Ende einer Regierung, egal ob es sich um den Streit zwischen Margaret Thatcher und Nigel Lawson handelte, Tony Blair und Gordon Brown oder Boris Johnson und Rishi Sunak.
Strukturelle Faktoren belasten
Es gibt noch ein paar strukturelle Faktoren, die die Renditen nach oben drücken. Der Gilt-Markt ist wesentlich kleiner als die Märkte für Staatsanleihen der EU, der Vereinigten Staaten oder Japans, obwohl das Pfund den Status einer Reservewährung hat. Er ist deshalb weniger liquide, insbesondere bei den langen Laufzeiten. Das zeigte sich vor drei Jahren, als es wegen riskanter Derivategeschäfte von Pensionsfonds nach dem „Mini-Budget“ von Kwarteng fast zur Kernschmelze kam.
Damals war die Bank of England gezwungen, Stabilisierungskäufe zu tätigen. Zuvor hatte sie mit ihrem Quantitative Tightening, dem Abverkauf des seit der Finanzkrise zur Ankurbelung der Konjunktur zusammengekauften Anleihenbergs, selbst für ein wenig Aufwärtsdruck gesorgt. Bislang hält sie daran unvermindert fest.
Keine Angst vor Staatsbankrott
Trotz dem Gerede von der Idiotenprämie sollte man eines nicht vergessen. Die Gilt-Renditen bewegen sich nahezu im Gleichschritt mit den US-Anleiherenditen. Die Korrelation liegt bei 0,9. Was in Washington geschieht, spielt eine größere Rolle als die Missgeschicke der britischen Regierung. Und die Warnungen vor einem drohenden Staatsbankrott sind, wie anderswo auch, vor allem Meinungsmache.