BlickfeldBankenregulierung der EU

Bürokratieflut erdrückt die Finanzbranche

Vom EU-Recht bis zum deutschen Brubeg: Die Regulierung der Finanzmärkte wird immer komplexer. Die Branche verlangt Entlastung – doch Kritiker warnen, dass Bürokratieabbau nicht zu Deregulierung führen darf.

Bürokratieflut erdrückt die Finanzbranche

Bürokratieflut erdrückt
die Finanzbranche

Zu komplex, zu viel: Banken fordern Vereinfachungen statt neuer Pflichten

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Die Finanzbranche gehört zu den am stärksten regulierten Wirtschaftssektoren Europas. Das hat gute Gründe: Stabilität, Verbraucherschutz und Marktintegrität stehen auf dem Spiel. Doch die Komplexität der Regulatorik hat in den vergangenen Jahren ein Ausmaß angenommen, das zunehmend auf Kritik stößt – sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene.

Eine aktuelle Studie des Centrums für Europäische Politik (CEP) beleuchtet die Entwicklung auf EU-Ebene. Studienautor Philipp Eckhardt hat sich darin die Legislaturperiode 2019 bis 2024 vorgenommen und stellt fest: Die Zahl und der Umfang regulatorischer Vorhaben sind massiv gestiegen – mit gravierenden Folgen für die Praxis. „Derzeit gibt es allein sechs Gesetz- bzw. Referentenentwürfe zur Umsetzung europäischen Finanzmarktrechts. Die Rufe nach einer Kehrtwende sind daher in jüngster Zeit lauter geworden“, konstatiert er.

„Kaum mehr stemmbar“

Das Ausmaß an und die Komplexität der Regulatorik habe mittlerweile einen Grad erreicht, der für die betroffenen Unternehmen kaum mehr zu stemmen ist, kritisiert Eckhardt. Allein in der vergangenen Legislaturperiode haben die Gesetzgeber nach seiner Zählung rund 30 Regulierungsvorhaben mit mehr als 2.000 Seiten Umfang beschlossen. Eine Ausnahme bildet die nachhaltige Finanzierung. Hier konstatiert Eckhardt kein Übermaß, aber eine Fragmentierung – und plädiert für ein besseres Zusammenspiel der verschiedenen ESG-Regulierungen.

Methodisch ging Eckhardt dabei zweigleisig vor. Einerseits analysierte er EU-Rechtsakte, die Unternehmen der Finanzbranche direkt adressieren, also zum Beispiel das Bankenpaket oder die Überarbeitung der Solvabilität-II-Richtlinie für die Versicherungsunternehmen. Andererseits flossen aber auch bestimmte Vorgaben in die Betrachtung ein, die sich nicht speziell an die Banken, sondern auch an andere Unternehmen richten. Denn wie etwa der EU-Rechtsakt zur Regulierung von künstlicher Intelligenz zeigt, können auch sektorübergreifende Vorgaben von großer Relevanz sein für die Finanzbranche.

Klare Trennung zwischen Level 1 und Level 2

Eckhardt fordert strukturelle Veränderungen. Denn einige Vorhaben, etwa die vorgeschlagenen partiellen Provisionsverbote, liefen der von Brüssel angestrebten Regulierungsvereinfachung und Stärkung der Kapitalmarktbeteiligung zuwider. Er plädiert für einen sauberen Gesetzgebungsprozess. Grundlegende Regeln müssten demnach auf Level 1 festgelegt werden, also als EU-Verordnung oder Richtlinie von Parlament, Rat und Kommission beschlossen werden. Sie stattdessen auf Level 2 zu delegieren, um politische Konflikte zu vermeiden, sei keine Option.

Denn Level 2 der abgestuften Gesetzgebung ist für Rechtsakte gedacht, die Technische Regulierungs- oder Durchführungsstandards darstellen. Sie dienen also der praktischen Umsetzung und Details der Level-1-Regulierung. Level-2-Rechtsakte erforderten indes eindeutige Mandate und eine bessere zeitliche Verzahnung. So fordert Eckhardt, dass Anhörungen zu Level-2-Maßnahmen kurz nach Verabschiedung von Level-1-Gesetzgebung stattfinden. Auf diese Weise sei es möglich, etwaigen Mandatsüberschreitungen der Europäischen Aufsichtsbehörden frühzeitig zu begegnen.

Verbraucherschützer fürchten dagegen, dass Bürokratieabbau als Deckmantel für Deregulierung genutzt wird. So sieht Anna Martin, Leiterin des Bereichs Finanzdienstleistungen bei der europäischen Verbraucherorganisation Beuc, die geplante Kleinanlegerstrategie der EU durchaus kritisch – allerdings aus gegenteiliger Perspektive. „Vereinfachung ließe sich erreichen, indem Redundanzen und Inkonsistenzen zwischen verschiedenen Rechtsakten beseitigt oder der Berichtsprozess erleichtert werden.“ Als Beispiel nennt sie die Nachhaltigkeitsberichterstattung: Anstatt kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus dem Anwendungsbereich herauszunehmen, wäre die Einführung eines einheitlichen Berichtsstandards möglich gewesen.

Nationale Perspektive

In Deutschland sollen zwei aktuelle Gesetzesvorhaben für Entlastung sorgen: das Brubeg (Bürokratieabbau und Umsetzung der CRD VI) und das Stofög (Standortförderungsgesetz). Die Einschätzung der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) fällt indes gemischt aus.

DK warnt vor „Bürokratievermehrungsgesetz“

Zum Brubeg betont die DK, dass echte Fortschritte beim Bürokratieabbau nötig seien. Zwar begrüßt sie das Ziel, eine „bürokratiearme Umsetzung der Eigenkapitalrichtlinie (CRD VI)“ zu erreichen, kritisiert jedoch die Ausgestaltung. Moniert werden darin neue Meldepflichten und Corporate-Governance-Anforderungen sowie ausgeweitete Aufsichtsbefugnisse. Aus Sicht der DK, könnte sich der Entwurf stellenweise „sogar als Bürokratievermehrungsgesetz entpuppen“.

Positiv bewertet der säulenübergreifende Interessensverband indes die vorgesehene Anhebung der Bagatellgrenze für Organkredite und differenzierte Vorgaben im Bereich „Fit & Proper“. Ein besonders brisantes Thema bleibe jedoch der fehlende AGB-Änderungsmechanismus, der nach einem BGH-Urteil aus dem Jahr 2021 eine erhebliche Lücke hinterlässt. Die DK fordert: „Die Praxis benötigt dringend einen praxistauglichen AGB-Änderungsmechanismus.“

Zu einer insgesamt milderen Einschätzung kommt die DK beim Standortförderungsgesetz. So lobt sie die vorgesehne Einstellung des Millionenkreditmeldewesens zum 30. Dezember 2026, was laut Entwurf jährlich 13,6 Mill. Euro Verwaltungsaufwand spart. Auch die Abschaffung des Mitarbeiter- und Beschwerderegisters bei der BaFin und eine Fokussierung der Nachweispflichten bei OTC-Derivaten auf risikorelevante Firmen gelten als zielführend.

Die Diskussion um den Bürokratieabbau offenbart ein Spannungsfeld zwischen Komplexitätsreduktion und Verbraucherschutz. Die Perspektiven der Branche wie auch der Verbraucherschützer verdeutlichen, dass der Abbau bürokratischer Lasten nicht im Klein-Klein steckenbleiben darf. Ein systematischer Abbau der regulatorische Komplexität ist erforderlich, ohne dass der Schutzzweck dadurch verwässert werden darf.