China macht Jagd auf Angsthasen
Inmitten einer gewaltigen Coronawelle feiert China mit reichlich gemischten Gefühlen den Start in das Jahr des Hasen. Wegen der abrupten Abkehr von der äußerst rigiden Pekinger Coronapolitik haben sich geschätzt drei Viertel der Bevölkerung binnen weniger Wochen mit dem Erreger angesteckt. Gleichzeitig aber erlaubt es die Abschaffung der Corona-Restriktionen, zum ersten Mal seit drei Jahren wieder das chinesische Neujahrsfest auf traditionelle Weise im größeren Familienkreis zu verbringen. Das bedeutet eine gigantische Reisewelle von Großstädtern, die Eltern und Großeltern in der Heimat besuchen. Und demzufolge natürlich auch die Gefahr, dass sich das Virus auch in ländlichen Gegenden und bei der älteren Bevölkerung verstärkt ausbreitet.
Das Land steckt in einem heftigen Emotionsstrudel, bei dem Angst vor der Ansteckung, Freude über das Familienfest, Sorge um langfristige Covid-Folgen und Wut über die erratische Coronapolitik des Staates zusammenkommen. Letzteres ist für Peking ein Problem. Ergo hat Chinas Internetüberwachungsbehörde für die Festperiode, in der Chinesen besonders viel Zeit für Diskussionen im Netz haben, eine Sonderkampagne mit besonders scharfer Kontrolle von Online-Content und der Eindämmung von „Falschinformationen“ ausgerufen. Es geht vor allem um Corona und den Zwang, Gutes über die Pandemie-Performance der Partei zu berichten.
Bei der Cybersecurity Administration of China (CAC) als prominentem Hüter der öffentlichen Sicherheit hat man klare Vorstellungen darüber, mit welcher Gemütsverfassung das Online-Publikum die Feierlichkeiten begehen soll. Bange machen gilt nicht. Heitere Gelassenheit oder zumindest das Vorgeben einer solchen ist derzeit erste Bürgerpflicht. Wie die CAC in ihrer drohend formulierten Festbotschaft betont, will man Online-Gerüchten mit Covid-Bezug begegnen und diejenigen bestrafen, die Informationen über epidemische Trends „fabrizieren“ und damit Angst verbreiten. Es gehe darum, das Publikum vor Irreführung zu schützen und Panikreaktionen zu vermeiden. Die gezielte Irreführung der Behörden und Chinas Versteckspiel mit der Zahl der Corona-Toten und anderen Daten, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO angefordert werden, scheinen allerdings nicht gemeint zu sein.
In jedem Fall herrscht für die Dauer der Kampagne ein striktes Verbot, sich online mit Infektionsverläufen, Todeszahlen, der Verfügbarkeit von Krankenbetten und Medikamenten oder dem Gesundheitszustand von Patienten zu beschäftigen. Die Internetpolizei sieht sich nämlich dazu berufen, der „Amplifizierung“ einer trüben Stimmung zu begegnen. Dabei warnt sie Neujahrsfestheimkehrer explizit davor, persönliche Erfahrungsberichte zu verbreiten, die eine negative Stimmung zu einer bestimmten Region und deren Umgang mit Covid fördern könnten.
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Wie ist die Stimmung nun tatsächlich beim mittlerweile vierten von der Corona-Pandemie maßgeblich geprägten chinesischen Neujahrsfest? Der Cocktail besteht aus einem Teil enormer Erleichterung, einem Teil wärmender Familiengefühle, einem Teil eiskalter Verbitterung, einem Teil gedämpften Optimismus und einem gehörigen Schuss Zukunftsängsten. Mancherorts mag sogar ein Spritzer Euphorie hinzugefügt worden sein, er ist aber nicht wirklich herauszuschmecken.
Eindeutige Verlierer des diesmaligen Frühlingsfests sind übrigens Chinas Schnapsbrenner. Normalerweise haben die Destillateure des hochprozentigen „Baijiu“, mit dem das ganze Land ein neues Jahr zu begießen pflegt, absolute Hochkonjunktur, und zwar allen voran die Edeladresse Moutai. Zu den trüben, stimmungskillenden Botschaften im Internet gehören aber auch Warnungen vor scharfem Alkohol und erschreckende Erfahrungsberichte von Leberschäden im Zusammenhang mit Covid. Abgesehen davon leiden noch Abermillionen von Chinesen an Parosmie, also dem mit Covid bisweilen verbundenen zeitweiligen Riech- und Geschmacksverlust. Der macht das nicht für unter 200 Euro pro Fläschchen zu habende Moutai-Gaumenerlebnis erst recht zur Verschwendung des Jahres. (Börsen-Zeitung,