China-Tech zerreibt sich im Kampf um Instant Retail
China-Tech zerreibt sich im Kampf um Instant Retail
Chinas Tech-Riesen Alibaba, JD.com und Meituan liefern sich eine bedenkliche Wettbewerbsschlacht auf neuem Terrain. Der Kampf um Marktanteile bei Instant-Retail-Diensten frisst ihre Gewinne auf.
Von Norbert Hellmann, Schanghai
In China ist der E-Commerce-Kunde König und wenn er es besonders eilig hat, kann ihm geholfen werden. Der Wettbewerb unter Chinas führenden Internetdienstleistern verlagert sich immer mehr auf Blitzzustellungen für eine breite Auswahl von Konsumartikeln. Im Stile von Essenslieferungen gelangen sie zu jeder Tages- und bisweilen auch Nachtzeit im Eiltempo an die Haustür, selbstverständlich ohne Aufpreis.
Alles unter einer Stunde
In Deutschland sind Amazon-Lieferungen am Folgetag für „Prime-Abonnenten“ das Maß der Dinge beim Kundenkomfort. Die von einzigartiger Zustellungslogistik verwöhnten chinesischen Online-Shopper haben es deutlich eiliger. Die kritische Schwelle liegt bei einer Stunde. Dafür bedarf es gewaltiger Anstrengungen und Investments der einschlägigen Plattformanbieter, allen voran die Tech-Unternehmen Alibaba, JD.com und Meituan.
Im Takt der Generation Z
Die Generation Z als bereits tonangebende Verbraucherschicht in China drückt dem Onlinehandel einen neuen Stempel auf. Sie hält sich nicht mit langem Browsing auf, sondern tätigt Impulskäufe. Der Anspruch auf sofortige Wunschbefriedigung ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Egal ob es einem nachts nach Snackwaren gelüstet oder die Rolle Klopapier fehlt, der Griff zum Handy regelt es sofort. Bereits auf dem Weg zur Party, aber den Lippenstift vergessen? Kein Problem, bis man dort ankommt, ist auch der Kurier mit der Schminkware angesaust.
Das sogenannte Instant-Retail-Geschäft, bisweilen wird auch von Quick Commerce gesprochen, ist das neue Schlachtfeld im Kampf um Marktanteile und Frequenz von E-Commerce-Plattformen. Nun verwischen die Grenzen zwischen Essensliefergeschäft und Frischwarenbezug mit seinem spezifischen Zustellungstempo und dem gewöhnlichem Online-Shopping für nicht verderbliche Güter.
Neue Wettbewerbsfronten
Chinas traditionelles Online-Retailing hat Zuge der gebremsten Konjunkturdynamik stark an Wachstumsdynamik eingebüßt. Das verleitet zu neuen logistischen Investitionsoffensiven, um sich eine Schnitte im rascher wachsenden Instant Retail Segment zu sichern. Analysten von Goldman Sachs betonen, dass es nicht nur um Marktanteile, sondern auch die Mobilisierung von Cross-Selling-Potenzial geht. Die seit jeher mit geringen Margen verbundenen Hochfrequenzdienste wie Essenslieferungen und ihre Logistikinfrastruktur für die letzte Meile an die Haustür gilt es auch für margenträchtigeres Geschäft mit höherwertigen Konsumgütern zu nutzen.
Das Potenzial im Instant-Retail-Geschäft ist gewaltig. Das chinesische Handelsministerium prognostiziert für den Markt bis 2030 eine Expansion von gegenwärtig rund 1,2 Bill. auf mehr als 2 Bill. Yuan zu. Morgan Stanley rechnet mit einem Wert von bis zu 2,5 Bill. Yuan, rund 300 Mrd. Euro.
JD.com mischt den Markt auf
Instant Retail als vormalige Nische im E-Commerce-Spektrum rückt nun ins Zentrum des Wettbewerbs. Im Frühjahr haben sich die Dinge überschlagen. Ausgangspunkt war die überraschende Entscheidung von JD.com, mit aller Wucht ins Liefergeschäft von Lebensmitteln einzusteigen. Abenteuerliche Rabattaktionen mit Gratisbestellungen haben in kürzester Zeit gewaltiges Volumen gebracht. JD.com verzeichnet bereits durchschnittlich rund 25 Millionen Order am Tag. Chinas Marktführer für On-Demand-Internetdienste, Meituan und Alibabas Essensliefersparte Eleme halten mit rauschhaften Discount-Initiativen dagegen.
Abenteuerlicher Cash Burn
Die Kampagnen zeigen Wirkung. Im zweiten Quartal kletterte die Zahl der monatlichen aktiven Nutzer von JD.com um rund 14% auf 637 Millionen. Meituans expandierte um 10% auf 511 Millionen Onlineshopper, die Alibaba-Plattformen Taobao und Eleme verzeichnen Zuwächse von 5 und 9%. Auf der Kostenseite geht es jedoch wüst zu. Goldman Sachs beziffert die damit verbundene Geldverbrennungsrate (Cash Burn) bei den drei Firmen auf über 25 Mrd. Yuan (3 Mrd. Euro).
Die Billigschlacht bei Essenslieferungen hat Chinas Verbraucher regelrecht elektrisiert, aber auch in der Szene Chaos verursacht. Die von Schockpreisen generierte Orderflut konnte zeitweilig weder von den Systemen, noch von den Kurieren bewältigt werden. Die Methoden der Kundenverführung sind zum Streitthema geworden. Prompt hat Peking eingegriffen. Die Wettbewerbsbehörde State Administration for Market Regulation bestellte die Führungskräfte der drei Tech-Konzerne zu Krisensitzungen ein und rief öffentlich zu fairem Wettbewerb und rationalem Marktverhalten auf.
Kuriere als Knautschzone
Die Bedenken der Regulatoren beziehen sich nicht zuletzt auf Nebenwirkungen des überhitzten Wettbewerbs. Gastronomen und Händler werden in den Preiskrieg hineingezogen und müssen zwangsläufig einen Teil der Subventionen selber absorbieren, um von den Plattformen weiter berücksichtigt zu werden. Das führt zu unzumutbaren Belastungen bei den Kleinunternehmen. Hinzu kommt die Sorge um ausbeuterische Praktiken bei der Millionenschar von sozial und arbeitsrechtlich kaum abgesicherten Kurieren. Die Niedrigverdiener auf Elektrorollern im Dauereinsatz werden per Orderannahme entlohnt und müssen bei Verfehlung von Lieferzeiten Verdienstausfälle hinnehmen.
Verschnupfte Anleger
Pekings Einwirken hat zwar Rabattexzesse etwas gezügelt. Dies ändert jedoch wenig daran, dass der Wettlauf beim „Quick Commerce“ gewaltig an den Margen der Tech-Riesen knabbert. Analysten rechnen auf Jahressicht mit Verlusten aus den neuen Initiativen von jeweils 25 Mrd. Yuan bei JD.com und Meituan, sowie mehr als 40 Mrd. Yuan im Hause Alibaba. An der Hongkonger Börse ist man wenig begeistert. Die Aktien der drei Kampfhähne haben im Kontrast zur starken Rally an Chinas Aktienmarkt seit Frühjahr stark Federn gelassen.
Die jüngste Ergebnisvorlage für das zweite Quartal zeigt bei allen drei Adressen drastische Einbrüche der Konzerngewinne, die auf den Kampf im Instant-Retail-Markt zurückgehen. Die Aktien von JD.com und Meituan wurden erneut gezwiebelt. Nur Alibaba gelang ein Befreiungsschlag. Den Anlegern missfällt die Retail-Offensive, doch hat der Tech-Alleskönner mit Cloud Computing und Künstliche Intelligenz (KI) eine Trumpfkarte im Ärmel, die den Börsen-Malus für E-Commerce-Exzesse nun wieder aufhebt.