Chinas E-Autos elektrisieren die Wall Street
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Der globale Pkw-Markt bleibt auf absehbare Zeit im Würgegriff der Corona-Pandemie gefangen und bereitet globalen Automobilbauern und ihren Aktionären zunehmend Kopfzerbrechen. Die große Ausnahme aber sind Hersteller von Elektrofahrzeugen mit besonderem Designanspruch, die eine Aura von Silicon Valley und Technologie-Start-up-Kultur umweht. Sofern es ihnen gelingt, sich im chinesischen Markt für gehobene Elektroautos eine Schnitte zu sichern, liegt ihnen die Börsenwelt regelrecht zu Füßen.
Wer im chinesischen Markt auch nur annähernd auf Touren gekommen ist, muss sich nicht nur um seine Aktienperformance keinerlei Sorgen machen, sondern bekommt neue Finanzierungsmittel für den anstehenden Expansionskurs förmlich nachgeschmissen. Das gilt nicht nur für den Platzhirsch Tesla, sondern auch eine Hand voll von chinesischen Konkurrenten, die nicht aus dem Lager der tradierten Automobilbauer stammen, sondern als Start-up-Firmen mit Rückendeckung chinesischer Technologiekonzerne hochgezogen wurden. Sie verstehen es wie Tesla, mit futuristisch anmutenden Cockpits und zahlreichen Gadgets jüngere Käuferschichten anzusprechen und dabei ein regelrechtes Fanpublikum heranzuzüchten.
Drei von den jungen chinesischen Wilden, nämlich Nio, Xpeng und Li Auto, werden gegenwärtig als besonders aussichtsreiche Tesla-Rivalen verortet und haben dabei eines gemeinsam: Es ist ihnen gelungen, trotz aller möglichen Dissonanzen im Handels- und Technologiestreit zwischen China und den USA mit Initial Public Offerings (IPOs) an den New Yorker Börsen ordentlich Kapital einzusammeln und die Wall Street mit traumhaften Kursanstiegen zu begeistern. Das wiederum hat ihnen die Möglichkeit verschafft, mit immer neuen Kapitalerhöhungen oder der Begebung von Wandelanleihen genügend Mittel einzusammeln, um die Fahrzeugpalette forsch auszubauen und sich geeignete Vertriebsnetze in chinesischen Großstädten zuzulegen.
Dass Tesla-Gründer und Hauptkontrolleur Elon Musk kürzlich zeitweilig zum reichsten Mann auf dem Globus avancierte, ist einer spektakulären Hausse der Tesla-Aktie zu verdanken, die wiederum hauptsächlich auf den Perspektiven im chinesischen Markt fußt. Musk hatte zweifellos den richtigen Riecher, als er sich unter dem Eindruck des bilateralen Handelsstreits für einen neuen Tesla-Produktionsstandort in China entschied. Damit wird nicht nur ein Strafzollproblem beim Import von Tesla-Modellen umgangen, sondern vor allem eine gezielte Preisstrategie für die Erschließung einer wesentlich breiteren Kundenbasis im Reich der Mitte ermöglicht.
Die Anfang 2020 in Schanghai an den Start gegangene Tesla-Gigafactory hat das Tesla Model 3 zum bestverkauften Elektroautomodell in China avancieren lassen. Ein Erfolg, den man nun mit der Aufnahme der chinesischen Produktion des Sport-SUV Tesla Model Y zu replizieren versucht. Trotz günstigerer Preise im chinesischen Markt kommt Tesla mit dem Modell auf höhere Margen als beim Verkauf in den USA oder Europa, betonen Analysten. Mit gut 120000 verkauften Fahrzeugen im vergangenen ist Jahr das China-Geschäft schnell auf einen Anteil von rund 20% des gesamten Konzernabsatzes bei Tesla avanciert. Laut jüngsten Marktprognosen und einen entsprechenden Erfolg des nun in China gebauten Model Y vorausgesetzt, dürfte der China-Anteil am Tesla-Gesamtgeschäft bis Anfang 2022 auf gut 40% anwachsen.
Starkes Wachstum
Beim Autohändlerverband China Passenger Car Association (PCA) rechnet man damit, dass Tesla im neuen Jahr rund 280000 Fahrzeuge im chinesischen Markt absetzt. Das würde ein zweifellos stolzes Wachstum im Vergleich zum Vorjahr bedeuten, aber Tesla nicht zwangsläufig zu Marktanteilsprüngen gereichen. Die Prognosen der PCA laufen auf einen chinesischen E-Auto-Absatz von mindestens 1,7 Millionen Fahrzeugen im Jahr 2021 hinaus, damit stünden etwa 80% des Marktes anderen Herstellern als Spielwiese zur Verfügung. In jedem Fall werden die Kalifornier, gerade was das Tesla Model 3 angeht, von den neuen mit Wall-Street-Kapital angefütterten chinesischen Konkurrenten in Sachen Preis-Leistungs-Verhältnis regelrecht umzingelt. Der größte des chinesischen Verfolger-Trios, Nio Inc., sorgt seit Mitte vergangenen Jahres mit vollelektrischen SUV-Modellen, deren Preise bis zu 40% höher als beim Model 3 liegen, für Furore. Die Nio-SUVs gelten als eine immer ernster zu nehmende Konkurrenz, die insbesondere dem Tesla Model Y Paroli bieten könnte. Während Li Auto mit geräumigeren Familienfahrzeugen und einer im Vergleich zu Tesla deutlich höheren Reichweite pro Batterieladung punktet, feierte Xpeng mit futuristischem Design und fühlbar niedrigeren Preisen als der Tesla Model 3 vor allem bei jüngeren Käuferschichten rasante Verkaufserfolge.
An der Wall Street geht man bislang davon aus, dass Tesla und ihre chinesischen Rivalen trotz aller Wettbewerbsintensität auf einer gemeinsamen Erfolgswelle schwimmen können, die die exorbitanten Kursanstiege rechtfertigt. Vor allem Tesla aber wird sich warm anziehen müssen, um die Anleger bei der Stange zu halten. Der „Early Mover Advantage“ im chinesischen Markt hat zweifelsohne gefruchtet, droht angesichts der leichtfüßigen chinesischen Konkurrenz aber rasch verloren zu gehen.